Page 9 - Schulblatt Thurgau 04 2014
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Schulblatt Thurgau 4 • August 2014 F O K U S 9
wir die freudvolle Erfahrung, gewisse T̈tigkeiten besser oder ung und Rahmen, wie Menschen miteinander umgehen. Positive
sogar sehr gut zu k̈nnen und die leidvolle Erfahrung, dass wir Werte wie Vertrauen, Respekt, Wohlwollen, Kooperation sollten
einiges einfach nicht so gut k̈nnen. Und wir machen hoffentlich gelebt und gef̈rdert werden. Negative Werte wie Misstrauen,
auch die Erfahrung, dass sich durch ̈bung das K̈nnen kontinu- Herabsetzung, Rivaliẗt, Neid, Missgunst, Arroganz sollten abge-
ierlich und manchmal sogar sprunghaft verbessern l̈sst.
baut und durch positive ersetzt werden. Schule sollte selbstsẗn-
dige, selbstbewusste, selbstsichere, neugierige und weltoffene
Am Anfang eines langen Weges mit stetig
Pers̈nlichkeiten heranbilden. Ein Anspruch, der nicht nur Scḧ-
steigenden Anforderungen
lerinnen und Scḧler, sondern auch Lehrerinnen und Lehrer be-
Mit dem Schulende entlassen wir die Scḧlerinnen und Scḧler trifft. Der Anspruch ist hoch, die Anforderungen sind hoch. Das
in die Gesellschaft. Unsere Gesellschaft ist gepr̈gt durch den neue Schuljahr l̈dt ein, uns den Anforderungen zu stellen, die
hohen Stellenwert der Arbeit. Gerade Jugendarbeitslosigkeit gilt Vertikalspannungen auszuhalten und uns und die Welt zu ver-
als besonders schlimm und ist deshalb ein zu vermeidendes ̈bel, bessern. Denn «die Moderne ist die Zeit, in der die Menschen,
Integration in die Arbeitswelt ein anzustrebendes Ziel. Wir leben die den Appell zur Ver̈nderung ḧren, nicht mehr wissen, wo
in einer Demokratie. Die Jugendlichen mit unserem Staatssys- sie beginnen sollen: mit der Welt oder mit sich selbst – oder mit
tem vertraut zu machen und sie zu bef̈higen, sich konstruktiv beidem zugleich.» 7
und verantwortungsbewusst in das Gemeinwesen einzubrin-
gen, ist ebenfalls ein wichtiges Ziel schulischer Bildung. Die
Geschichte der P̈dagogik ist neben pragmatischen Ans̈tzen
auch von idealistischen und utopischen Motiven durchdrungen. PORTR̈T
P̈dagogik ist ja auch dem Individuum verpflichtet. P̈dagogik soll Harry Wolf studierte Philosophie und P̈da-
die individuellen Kr̈fte von Kindern und Jugendlichen entfalten.
gogik an der Universiẗt Z̈rich. Er betreibt
Doch nicht immer treffen sich individuelle Projekte mit den An- nebenberuflich seit 1994 eine philosophische
spr̈chen der Gesellschaft. P̈dagogischer Idealismus und wirt-
schaftlicher Realismus k̈nnen zum Teil hart aufeinander prallen. Praxis, in welcher Fragen, die einem das
Leben stellt, aus philosophischer Sicht
So entstehen Schul- und Universiẗtsabgehende, welche an den
Verḧltnissen der Arbeitswelt vorbeitr̈umen, und der Staat ver- beleuchtet werden. Zu seinen beliebten
Themenfeldern geḧren neben der Bildung,
sucht, den p̈dagogischen Idealismus aus «pragmatischen und die Frage nach dem guten Leben, das
utilitarischen Gr̈nden zu brechen.» 6 Gesellschaftlicher Wandel
philosophische Problem der Zeit und das
schl̈gt als Reform auf die Schule durch. Eine Reform ist f̈r die Problem der Gerechtigkeit. Im Amt f̈r Mittel-
Schule ein Neubeginn. Der Lehrplan 21, die Maturiẗtsreform, die
Bologna-Reform, neue Bildungsverordnungen sind Beispiele f̈r und Hochschulen AMH arbeitet er seit 2003.
einen Neubeginn auf den jeweiligen Stufen. Die Schule ist nicht
nur zusẗndig f̈r Wissen und K̈nnen. Schule ist auch eine Le-
bensgemeinschaft. Lehrerinnen und Lehrer und die Schule als
Ganzes verk̈rpern Werte und Haltungen. Sie liefern Anschau-
Sandb̈nkli, Bischofszell Egg, Sirnach
LITERATUR
1 Vgl.HansMichaelElzer:Bildungsgeschichteals
Kulturgeschichte. Ratingen 1965, S. 26
2 PeterSloterdijk:DumusstdeinLeben̈ndern.
̈ber Anthropotechnik. Frankfurt am Main 2009, S. 14
3 PeterSloterdijk,a.a.O,S.27
4 Vgl.MarthaC.Nussbaum:Nichtf̈rdenProfit.
Warum Demokratie Bildung braucht. ̈berlingen 2012, S. 99
5 Vgl.OttoFriedrichBollnow:VomGeistdes̈bens.
Eine R̈ckbesinnung auf elementare didaktische Erfahrungen.
Oberwil b. Zug 1987, S. 32
6 PeterSloterdijk,a.a.O,S.550
7 PeterSloterdijk,a.a.O,S.506