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Schulblatt Thurgau 4 • August 2014 RUND UM DIE SCHULE 43








GESCHICHTE – GESCHICHTEN



«Schulvogt» oder ten, begann das Schuljahr in Deutschland in der ersten Ḧlfte 
des 20. Jahrhunderts mehrheitlich im Fr̈hjahr. Die National- 

sozialisten setzten dann mit dem Reichsschulgesetz von 1941 
«Bl̈emlip̈dagogik»?
̈berall den Herbstschulbeginn durch. Dieser wurde aber nach 

Kriegsende von den Besatzungsm̈chten in den meisten Bun- 
desl̈ndern als ̈berbleibsel des Dritten Reiches wieder r̈ck- 

g̈ngig gemacht, was erneut zu einem Durcheinander f̈hrte. 
Nach langem Hin und Her einigten sich die Kultusminister der 
Was Mitte der Achtzigerjahre in Versammlungen und Bundesl̈nder schliesslich 1964 auf den Herbstschulbeginn.
auf Leserbriefseiten hitzige Kontroversen ausl̈ste, ist 

heute unbestritten und selbstversẗndlich: Das Schul- Bunter Flickenteppich auch in der Schweiz

jahr beginnt in der ganzen Schweiz im Sp̈tsommer.
Auch in der Schweiz blieb der Schuljahresbeginn lange un- 
einheitlich und wurde wohl durch die kulturellen Einfl̈sse der 
Nachbarl̈nder bestimmt (siehe Karte). Im Thurgau legte das 

Prof. Dr. Damian Miller, Dozent PHTG &
Schulgesetz von 1833 den Schulbeginn auf Anfang Mai fest, 
Dr. Hans Weber, Leiter Schulmuseum M̈hlebach
und beim Fr̈hlingsbeginn blieb es die n̈chsten 150 Jahre. 

D1967 empfahl die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirek- 
toren (EDK), die kantonal unterschiedlichen Schuljahresbeginne 

a die Schulhoheit im Wesentlichen bei den Kantonen zu koordinieren bzw. zu vereinheitlichen; 1970 wurde diese For- 
liegt, war der Schuljahresbeginn vorher von Kanton zu derung in ein Konkordat aufgenommen. In der Folge wurde auf 
Kanton, von Landesteil zu Landesteil unterschiedlich
kantonaler Ebene verschiedentlich ̈ber einen Schuljahresbeginn 

festgelegt. Erst mit der eidgen̈ssischen Volksabstimmung vom nach den Sommerferien abgestimmt. So entschied sich etwa der 
22. September 1985 gelang die Vereinheitlichung.
Kanton Z̈rich 1972 beim Fr̈hjahresschulbeginn zu bleiben. Da 

mit dem Schulkonkordat nichts zu erreichen war, der Ruf nach 
Blick in die Geschichte
Vereinheitlichung aber immer lauter wurde, startete die FDP 

So lange nur im Winter unterrichtet wurde, und das war in der Schweiz mit Erfolg eine Volksinitiative. Das Parlament legte dem 
Schweiz bis anfangs des 19. Jahrhunderts in der Volksschule Volk schliesslich einen Gegenvorschlag zum Entscheid vor, der 
mit wenigen Ausnahmen g̈ngige Praxis, begann das Schuljahr den Bildungsartikel in der Bundesverfassung wie folgt erg̈nzte: 

im Sp̈therbst – meist am Martini, also am 11. November – und «F̈r die Zeit des obligatorischen Schulunterrichtes beginnt das 
dauerte bis ungef̈hr Ostern. Wo es Sommerschulen gab, wurde Schuljahr zwischen Mitte August und Mitte September.»

das Jahr dann in Winter- und Sommerschule aufgeteilt, die 
beide mit kleinen Er̈ffnungsanl̈ssen begannen und meist mit 

Examen abgeschlossen wurden. Als dann als Folge der Auf- Die Kinder dem B̈rokratismus Opfern?
kl̈rung seit Ende des 18. Jahrhunderts vermehrt ẅhrend des 
ganzen Jahres Schule gehalten wurde, begannen die Diskussio- 

nen um den richtigen Termin f̈r den Schuljahresanfang. F̈r den 
Herbstschulbeginn sprach vor allem die Z̈sur durch die langen 

Sommerferien. Die Anḧnger des Fr̈hlingsbeginns verwiesen 
immer wieder auf den Naturkreislauf; das Aufwachen der Natur 

sei doch auch g̈nstig f̈r den Start in ein neues Schuljahr. Auf- 
grund der d̈rftigen Quellenlage l̈sst sich f̈r Deutschland nur 
feststellen, dass in Norddeutschland anfangs des 19. Jahrhun- 

derts offenbar der Fr̈hjahrsbeginn dominierte. Einen Beweis 
daf̈r liefert die Volkskunde mit dem Hinweis auf den damals 

dort aufkommenden Brauch der «Schulẗten», die n̈mlich auch 
«Osterẗten» genannt wurden. Diese T̈ten wurden den Erst- 

kl̈sslern von Eltern, Paten oder Bekannten geschenkt und 
sollten ihnen mit den darin versteckten Leckereien den Schul- 
eintritt vers̈ssen. Der Brauch verbreitete sich sp̈ter in ganz 

Deutschland und wird seit einigen Jahren auch in der Schweiz 
gepflegt. Im K̈nigreich Bayern dagegen legte die Schulordnung 

von 1802 fest, dass die Schulpflicht sechs Jahre umfasse und 
das Schuljahr von September bis Juli dauere. Eine einheitliche 
L̈sung liess sich in Deutschland weder in der Kaiserzeit noch in 

der Weimarer Republik durchsetzen. Im Unterschied zu den an- 
dern europ̈ischen L̈ndern, die den Herbstschulbeginn kann-





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