Page 9 - Schulblatt Thurgau Juni 2015
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Schulblatt Thurgau 3 • Juni 2015 F O K U S 9
PORTRÄT
Claudia Hirt unterrichtet Sprachen
und Mathematik an der Sekundarschule Feldbach in Steckborn. Sie moderiert «Ein Platz für Tiere» beim Lokalfernsehen Steckborn, ist sprachbegeistert und reist leidenschaftlich gerne.
«Ich finde es sinnvoll, wenn die Jugendlichen wissen, worauf ich beim Korrigieren achte.»
Freust du dich auf die Kompetenzraster?
Neuerungen im Bildungswesen gegenüber bin ich eher zurück- haltend, lass sie mal auf mich zukommen. Ich arbeite damit und schaue, was dabei rauskommt. Ob jemand die eine oder andere Kompetenz hat, scheint mir nicht immer leicht zu beurteilen. Müssen es null oder dürfen es auch fünf oder zehn Fehler sein, damit man noch von Kompetenz reden kann? Was bedeutet denn «Spricht fliessend» – ab wann, darf ich dieses Prädikat aussprechen? Meiner Meinung nach muss auch weiterhin ein gewisser Stoff automatisiert werden, damit man schnell reagie- ren kann. Ohne abrufbares Wissen – keine Kompetenzen.
Wie korrigierst du?
Ich korrigiere selbstverständlich im G-Niveau anders als im M- oder E-Niveau. Selbst innerhalb der Niveaugruppen bringe ich teils individuelle Korrekturen an, je nach Lernstand und kogni- tiven Fähigkeiten der Jugendlichen. Ich möchte den individuellen Fortschritten der Jugendlichen Rechnung tragen und passe bei mündlichen Tests die Noten schon mal individuell etwas an. Zu- gegeben, das hat dann auch mal mit Bauchgefühl zu tun. Ich finde es sinnvoll, wenn die Jugendlichen wissen, worauf ich beim Korrigieren achte z.B. «Woran müssen wir denken, wenn wir von den vergangenen Ferien erzählen?» Klar, passé composé! Schreibt ein G-Schüler motiviert an einem Text, ist es mir wich-
dass dies gerade in Bezug auf nachhaltiges Lernen durchaus Sinn macht und mehr Vokabeln auch Wochen nach dem Test noch abrufbar sind.
Wie Jugendliche Vokabeln lernen, stelle ich ihnen ansonsten aber frei. Ob mit oder ohne Karteikärtchen – wenn jemand für sich eine Technik gefunden hat, die funktioniert, schalte ich mich nicht mehr ein. Damit die Jugendlichen aber überhaupt diese Entscheidungsmöglichkeit haben, ist es nötig, über Lern- strategien und Lerntechniken zu sprechen. Wir hören uns an, wie andere lernen und ich stelle ihnen ergänzende Techniken vor und «verdonnere» sie anfangs auch dazu diese auszu- probieren.
Wo kommt die Mathe-Lehrerin in Konflikt mit
der Franz-Lehrerin?
Hm, eigentlich gar nicht. In der Mathe kommt es mir auch nicht einfach nur aufs Resultat an. Ich studiere bei einer Prüfung den jeweiligen Lösungsweg. Handelt es sich um einen Überlegungs- fehler? Oder wurde einfach eine Zahl falsch vom Taschenrechner abgeschrieben? Erfolgreiche Teilschritte geben nämlich Punkte. Genau wie Mathe sind auch Sprachen recht logisch aufgebaut. Je mehr du eine Sprache durchschaust, je leichter fällt dir deren Erwerb. Eine Struktur erleichtert es einem doch! Sprache ist eine Art Abmachung. Versuchen wir, uns daran zu halten.
Welche Ziele möchtest du erreichen?
Wenn die Jugendlichen im französischsprachigen Raum wirklich auch Französisch sprechen und nicht schon nach einem halb- herzigen Bonjour gleich ins Englisch verfallen, bin ich schon Mal ganz zufrieden. Das Ziel heisst, sich zu getrauen und auszupro- bieren! Und wenn der überzeugte G-Französisch-Hasser mir in der 1. Woche an der Sekundarschule mitteilt, dass er so schnell wie möglich Franz abwählen wird und schlussendlich aber doch drei Jahre den Französischunterricht besucht, ist das durchaus ein Erfolg.
Herzlichen Dank, Claudia, für dieses Gespräch!
tig, seine Arbeitsleistung wertzuschätzen. Da verzichte ich schon mal drauf eine (ungenügende) Note zu setzen, die sowieso nur demotivierend wäre. Stattdessen setze ich da lieber einen Smiley unter die Arbeit, um zu honorieren, dass einer konzentriert und fleissig bei der Sache war. Im E-Niveau – insbesondere bei Kanti-Anwärterinnen und -Anwärtern – bin ich da natürlich konsequenter und spare nicht am Rotstift. Wenn wir Sprachlehr- personen die gleichen Prüfungen schreiben lassen, sprechen wir uns ab und finden einen Konsens im Korrigieren. Im E-Niveau muss ein Wort hundertprozentig richtig geschrieben werden, bei M- und G-Klassen gelten natürlich andere Korrektur-Massstäbe.
Gibt es bei dir Rituale?
Ich gebe allen beim Reinkommen und beim Verlassen des Schul- zimmers die Hand. Eine günstige Gelegenheit, Feedback zu geben: «Hast du gemerkt, wie gut du heute mitgemacht hast?» Im Vier-Augen-Gespräch lässt sich vieles regeln. Da ein Tipp, dort eine kleine Ermahnung oder Versöhnung und eben auch positive Rückmeldungen. Jede G- und M-Lektion beginnt bei mir mit fünf Minuten Vocabulaire-Training, einem selbststän- digen und absolut stillen Lernen, bei dem die Jugendlichen Wörter schreiben, schreiben, schreiben. So haben die Schüler Zeit, im Unterricht anzukommen. Ich habe zudem festgestellt,


































































































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