Page 10 - Schulblatt Thurgau Juni 2015
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PORTRÄT
Jürgen Oelkers ist Erziehungswissenschaftler und emeritierter Professor der Universität Zürich. Forschungsschwerpunkte:
Historische Bildungsforschung, vor allem des 18. und 19. Jahrhunderts, Reformpädagogik im internationalen Vergleich, Analytische Erzie- hungsphilosophie, Inhaltsanalysen öffentlicher Bildung, Bildungspolitik.
«Fehler beziehen sich immer auf eine Richtigkeitsnorm und sind in diesem Sinne eine negative Abweichung.»
HINTERGRUND
Feedback, Fehler und Lernfortschritte
Bei der Diskussion von Hatties Thesen ist weitge- hend untergegangen, dass er Formen des Feedbacks zu den wirksamsten Faktoren der Beeinflussung von Lernen und Leistung in der Schule zählt.
Prof. Dr. em. Jürgen Oelkers, Erziehungswissenschafter
Der weltweit meist zitierte Autor in Sachen Erziehungs- wissenschaft und Schulentwicklung ist John Hattie. Selbst wenn man seine Studie methodisch angreifen
kann, so sind seine Ergebnisse doch für die Weiterentwicklung der Volksschule auch in der Schweiz von hoher Bedeutung. Der Grund ist einfach. Die Jugendlichen reagieren auf eine direkte und Kriterien geleitete Rückmeldung mit weit grösserer Auf- merksamkeit als auf informelle oder formalisierte Ansprachen. Früher sagte man, dass die Schülerinnen und Schüler wissen wollen, «wo sie stehen». Gemeint war damit in aller Regel die Zuordnung der eigenen Leistung zum Lernstand und zur Lern- hierarchie in der Klasse.
Gerade formale Feedbacks stellen hohe Ansprüche und müssen gut vorbereitet sein. Rückmeldungen können sich auf die Lern- leistung, das schulische Verhalten sowie die Entwicklungsprog- nose beziehen. Jugendliche und Kinder erwarten transparente Rückmeldungen, Urteile, für die gute und einsichtige Gründe vorliegen, ehrliche Einschätzungen ihrer Leistungsfähigkeit und eine gute Beratung, wie sie sich zum eigenen Vorteil am besten weiterentwickeln können.
Notengebung
Die gängigste Art des Feedbacks wird oft gar nicht so genannt. Aber die Vergabe von Noten und die Beurteilung durch Zeug- nisse sind nichts anderes als formalisierte Rückmeldungen. Das damit verbundene Problem ist seit langem bekannt. Ziffernnoten ohne Bezugsnormen sagen nicht viel aus und bilden im Allge- meinen nur die Klassenhierarchie ab. Gleichwohl sind Noten in Zeugnissen nicht verzichtbar. Allerdings sollte die Form optimiert werden. Verschiedene Schweizer Schulen arbeiten mit geeichten Noten, also mit Beschreibungen, wie sich die Notenstufen nach- vollziehbar unterscheiden. Mögliche Feedbacks thematisieren auch Fehler, die in Noten nur den Hintergrund der Bewertung abgeben. Wer sich verbessern will, muss eine Vorstellung davon haben, was ihm nicht gelungen ist, also wo Fehler gemacht wur- den. Fehler beziehen sich immer auf eine Richtigkeitsnorm und sind in diesem Sinne eine negative Abweichung. «Aus seinen Fehlern zu lernen» gehört zu den Grunderfahrungen nicht nur von Kindern und Jugendlichen. Spitzensportler etwa sagen re- gelmässig, dass der grösste Anreiz für die Verbesserung des eigenen Könnens Fehler und Niederlagen gewesen seien.
Von den Fehlern ...
«Fehler» haben in der heutigen schulpädagogischen Diskussion einen schlechten Ruf, weil ihnen unterstellt wird, dass sie das Selbstbild und die Motivation der Schülerinnen und Schüler ne- gativ beeinträchtigen. Wenn etwa von «intrinsischer Motivation» gesprochen wird, dann nie im Blick auf die Nutzung von Fehlern für das Weiterlernen. Aber Fehler sind kein Makel, sondern eine notwendige Bedingung für Lernprozesse innerhalb und aus- serhalb der Schule. Ein Schlagwort lautet «Fehlertoleranz». Die
Das direkte Feedback
Die heutige Bevorzugung von Formen des direkten Feedbacks bezieht sich auf die Beeinflussung des Lernprozesses. Schüle- rinnen und Schüler schätzen Rückmeldungen, wenn damit Hilfen für die erfolgreiche Bewältigung von Aufgaben verbunden sind. Das setzt voraus, dass sie über ihre Stärken und Schwächen informiert sind. Wirksam ist das vor allem dann, wenn den Lehr- personen hohe Glaubwürdigkeit attestiert wird. Von der Qualität ihrer Rückmeldung hängt der Lernfortschritt ganz elementar ab. Glaubwürdig für alle sind Feedbacks ihrer Lehrkräfte dann, wenn sie sie ernst nehmen können, was nicht in jedem Fall ge- geben ist. Übertriebenes Lob wird genauso durchschaut wie weltfremde Ansprüche oder unfaire Formen der Beurteilung. Feedbacks müssen daher bestimmte Kriterien erfüllen und für die Schülerinnen und Schüler unmittelbar nachvollziehbar sein.