Page 11 - Schulblatt Thurgau Juni 2015
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Schülerinnen und Schüler sollen ruhig Fehler machen können, wenn sie nur aktiv handeln und die Freude am Lernen behalten. Aber wer Fehler begeht, wird eher herausgefordert, sofern die Lernumgebung den Umgang mit Fehlern belohnt und die Kor- rektur in Aussicht stellt. Das Zerrbild in dieser Diskussion sind Aufsätze oder Rechenaufgaben, die voll sind von roten Fehler- markierungen und deswegen als demotivierend gelten. Diese Praxis mag in Schulen immer noch verbreitet sein, aber sie spricht nicht einfach dafür, bei Fehlern nur noch tolerant zu sein.
Man kann das Problem demonstrieren, wenn man sich heutige Schreib- und Leseprogramme im Primarschulunterricht näher anschaut. Oft wird mit Anlauttabellen gearbeitet, die zum Schrei- ben nach Gehör auffordern und deswegen zunächst keinen Wert auf korrektes Schreiben legen. Der fatale Effekt ist dann, dass man sich eine falsche Orthographie einprägt, die nachfol- gend nur schwer wieder zu korrigieren ist. Das Versprechen, die korrekte Form spiele sich von selbst ein, unterschätzt den prägenden Effekt der ersten Lernerfahrungen.
... zum korrekten Verhalten
In allen elementaren Grundlagen der Allgemeinbildung ist kor- rektes Verhalten angesagt. Wer nur lückenhaft lesen kann, ist genauso benachteiligt wie der, der die Orthographie nicht be- herrscht. Diese schulische Norm ist auch dadurch nicht auszuhe- beln, dass auf das grammatisch freie Schreiben in heutigen Blogs verwiesen wird. Wie immer die Eingangsstufe gestaltet wird, am Ende wird die Beherrschung der elementaren Rechenarten, des korrekten Schreibens und des flüssigen Lesens erwartet. Alles andere im Verlauf der Schule baut darauf auf, was auch bedeutet, dass zu Anfang keine grossen Fehler gemacht werden dürfen. In diesem Sinne gehört die Fehlerkorrektur zu den Grundaufgaben der Volksschule. Die Erwartungen des Korrekten sind zwischen den verschiedenen Schularten aber nicht hinreichend geklärt. In gewisser Weise bestimmt nicht der Lehrplan über die Praxis, sondern die Überzeugungen der Lehrpersonen, die Lehrmate- rialien und die Praxis der Leistungsbeurteilung. Fehler haben auch mit Unsitten zu tun. Wenn ein Schüler bzw. eine Schülerin in einem Diktat viermal den gleichen Fehler macht, dann macht sie einen und nicht vier Fehler. Das Korrigieren kann zur Last wer-
den, nicht für die Lehrerin und den Lehrer, sondern für die Schü- lerinnen und Schüler, wenn nur die Fehler angestrichen werden und die korrekte Form bzw. die Varianten des Korrekten gar nicht sichtbar werden. Vielfach gibt es nicht nur eine Möglichkeit, eine Aufgabe richtig zu lösen. In jedem Fall aber müssen Fehler mit Varianten des Richtigen verbunden werden.
Die Behandlung von Fehlern
Schulen tun gut daran, sowohl die Formen des Feedbacks als auch die Behandlung von Fehlern im Unterricht zu einem gemeinsamen Anliegen des Kollegiums zu machen. Die Lehr- personen werden dadurch entlastet, dass nicht jeder selbst ent- scheidet, ob und wie er oder sie Rückmeldungen durchführt, in welcher Form das geschieht, etwa ob Fragebögen eingesetzt werden oder nicht, und welche Konsequenzen damit verbun- den sind. Hier kann die Schule interne Standards setzen, die etwa bei Elternanfragen wirkungsvoll eingesetzt werden kön- nen. Damit verbunden ist keine Normierung des Unterrichts, sondern einfach nur eine an sich selbstverständliche Form der Schulentwicklung.
Die Behandlung von Fehlern ist naturgemäss viel individueller, aber auch hier sind Bezugsnormen möglich. Korrekte Schreib- formen findet man im Duden und flüssiges Lesen ist sehr stark von Rollenvorbildern abhängig. Beide Bezugsnormen sind keine Beeinträchtigung des selbstständigen Lernens, im Gegenteil. Es wird klar gesagt, welche Grundlagen im Elementarunterricht erreicht werden müssen. Hier sollen Schulen auch stärker als bisher auf die Zielsetzungen in den kantonalen Lehrplänen ein- gestellt sein. Notwendig ist auch ein schulinterner Austausch, in dem die Erfahrungen – etwa mit schwierigen Fällen – offen und folgenreich thematisiert werden können. In diesem Sinne wären «Fehler» kein Schreckensbild, vor dem man die Schülerinnen und Schüler in Schutz nehmen muss, sondern einfach eine Ler- nerfahrung, die sich im Leben häufiger wiederholen wird. Ein wichtiges Lernziel wäre also ein produktiver Umgang mit eige- nen Fehlern. Die Fehler belehren einen darüber, was man noch nicht kann, aber mit einiger Anstrengung erreichen wird. Das schliesst nicht aus, schlechte schulische Gewohnheiten im Blick auf Fehler möglichst schnell zu verändern.
Schulblatt Thurgau 3 • Juni 2015 F O K U S 11