Page 49 - Schulblatt Thurgau Juni 2015
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Schulblatt Thurgau 3 • Juni 2015 RUND UM DIE SCHULE 45
Bild: Fuchs, W. (1969). Knaurs Buch vom Neuen Lernen. Droemer, Knaur. S. 135
«Das erste ist, dass man einem kind seinen fehler vorhaltet, und desselben zu überzeügen trachtet.»
INFORMATION
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Fehlerkunde – ohne Teufel
Bis in die erste Hälfte des 19. Jh. wurden Fehler in aufgeklärten Kreisen anhand charakterlicher Mängel wie Unaufmerksamkeit, Faulheit und Leichtsinn erklärt. Faulheit lässt sich in eine echte (primäre) und unechte (sekundäre) Faulheit differenzieren. 7
Die primäre ist eine tief verwurzelte Abneigung gegen jede Art geistiger Konzentration, die die Voraussetzung für jedes zuver- lässige Arbeiten ist. Während die sekundäre ein blosses Symp- tom einer Arbeitsunlust darstellt. Der primär Faule flieht jede Art der Mühe. So stand 1950 im Lexikon der Pädagogik: «Er flieht die Kälte des Objektiven und sucht die behagliche Wärme des subjektiven Daseinsgenusses. Das ist die innere Situation des faulen Menschen.» 8
Die sekundäre Faulheit äussere sich als Arbeitsunlust und Un- fleiss. Diese können durch seelische Präokkupationen verur- sacht werden, wie «latente Verzweiflungsstimmungen, Depres- sionen, Liebesleid oder drängende Sorgen.»9 Die seelische Energie sei derart gebunden, dass sie keine Energie zur sachge- mässen Bewältigung irgendeiner Arbeit haben, die ausserhalb des Bannkreises der unmittelbaren Interessen liegt. Eine Ursache kann in der Pubertät das körperliche Wachstum sein, das viel Energie verbraucht. «Dann ist die Untätigkeit eine zweckmäs- sige Schutzvorrichtung gegen die Gefahr einer zu grossen, ent- wicklungsschädigenden Energieausgabe.»10
Fehlerkunde – Korrektur
Fehlerkorrekturmethoden, -behandlung, -behebung haben Hochkonjunktur, sind Moden und verschwinden zuweilen unbe- merkt durch die Hintertür des schulischen Alltags, weil sie nicht das leisten, was sie versprachen. Gab es nicht einmal die Idee, in einem Aufsatz die richtigen Sätze und Worte mit grün zu unter- streichen, anstatt die falschen mit roter Farbe zu «verchrable?» Die Rede von Feedback, Feedbackkultur und dgl. ist nicht erst seit dem Einzug des kybernetischen Denkens im Schulkontext ein wichtiges Thema. Ein allen Feedbacktheorien gemeinsames Merkmal ist, dass das Feedback unmittelbar zu erfolgen habe. Das Zauberwort heisst immediate feed-back und wird u.a. als Mehrwert von Lernmaschinen und computerbasiertem Lernen bezeichnet. Das ist nicht eine Erfindung von Kybernetikern, Be- havioristen und Computerdidaktikern. Über diese Erkenntnis verfügt die Menschheit schon lange, beispielsweise im Mittel- alter. Zur Ausbildung und zum Training der Ritter an der langen Lanze, die man als Holzattrappen auch bei Schau-Turnieren ein- setzte, erfolgte mancherorts anhand einer Lernmaschine. Das ist eine hölzerne Figur, die ein unmittelbares Feedback generierte, wenn der Ritter eine Fehlleistung erbrachte. Wurde beim Lan- zenstoss nicht genau die Mitte des gegnerischen Schutzschil- des getroffen, rotierte die Holzfigur, schwang einen Knüppel und schlug damit unmittelbar (immediate) an den Hinterkopf des Versagers. 17 Mit diesem Feedback wurde das Kleinhirn (ce- rebellum), das für Motorik, Koordination, Planung und einen Teil der Bewegungsabläufe18 zuständig ist, stimuliert. Damit haben wir nicht nur erfahren, dass immediate feed-back eine lange Tradition hat, sondern wir haben zugleich die Anfänge der Neu- rodidaktik kennen gelernt.
Für eine Falschleistung muss nicht zwingend Faulheit die Ursache sein. Es könnte ein Fehler oder ein Irrtum dahinter stecken. «Der Fehler entspringt einer mangelnden Einsicht oder Kennt- nis und ist durch ein Versagen psychologischer Funktionen bestimmt.»11 Drei seelische Kräfte könnten versagen: «1. Das Gedächtnis, 2. Das Denken 3. Die Aufmerksamkeit.» Der Feh- ler ist im Gegensatz zum Irrtum eine «verantwortungspflichtige Falschleistung», wenn eine der drei seelischen Kräfte versagt. 12 «Der Irrtum ist ein Fürwahrhalten des Falschen, das bedingt ist durch Unkenntnis oder mangelnde Kenntnis von Tatsachen, die für die richtige Erkenntnis von wesentlicher Bedeutung sind.» 13 Unter dieser Sichtweise sind Fehler keine Sünden, die bestraft werden müssen, «so wurde das Korrekturzeichen zum Weg- weiser, der Lehrer zum Führer und Helfer.»14 Der Versuch, die Fehler einer falschen Methodik anzulasten, schlägt fehl: «Wohl dämmerte allmählich die Erkenntnis auf, dass man im Aufbau des Lehrstoffes falsche Wege eingeschlagen hatte; aber Me- thoden kamen, Methoden gingen, die Fehler blieben.»15 Fehler sind nicht aus der Welt zu schaffen, fehlbar sind wir alle, wer hingegen fehlsam ist, neigt von seiner Disposition her zu Ent- gleisungen. 16