Page 47 - Schulblatt Thurgau Juni 2015
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GESCHICHTE – GESCHICHTEN
Buchstabenweg- schleckzunge und Fehlerhinspuckspucke
Wie entstehen Fehler? Welche Typen von Fehlern gibt es? Wie reagieren Lehrpersonen auf Fehler? Wir ver- zichten auf Klischees der schwarzen Pädagogik, suchen nach den Ursprüngen der Fehler und erfahren en pas- sant etwas über die Anfänge der Neurodidaktik.
Prof. Dr. Damian Miller, Dozent PHTG & Dr. Hans Weber, Leiter Schulmuseum Mühlebach
Fehlersuche im 18. Jahrhundert: Möglichkeiten zum Feh- lermachen gibt’s überall, viele finden sich in der Schule, denn dort geht es darum, die Kinder mit den Regeln des
Zusammenlebens vertraut zu machen. Lange bevor die Wissen- schaft Theorien zur Fehlerkunde entwickelt hat, beschäftigten sich die Praktiker mit den menschlichen Fehlern. So wird in der Zürcher Schulumfrage von 1771/721 gezielt nach Fehlern und deren Korrektur gefragt. Da die Umfrage von der für die Schule zuständigen kirchlichen Obrigkeit durchgeführt wurde, erstaunt es nicht, wenn es dabei kaum um Fehler beim Lesen und Schreiben geht; von Interesse sind die moralischen Feh- ler. Im Abschnitt «Schul-Zucht» wird gefragt: «Was für Fehler und wie werden sie in der Schule bestraft?«, «Wird nicht etwa, was nur ein vitium naturae ist, als ein vorsezlicher Fehler, und ein Mangel des Fleisses als ein Bosheitsfehler bestraft?» und schliesslich «Wie wird insbesondere das Lügen, wie werden kleine Diebstähle, wie werden Unarten und Grobheiten, wie wird das heimliche Wegbleiben von der Schule, wie werden kleine Schlägereyen u.s.w. bestraft?» Im letzten Abschnitt erkundigt sich die Umfrage nach dem Nutzen des Schulunterrichtes, den Schaden des Versäumnisses und will wissen «Was zeigen sich für allgemein herrschende Fehler bei den Schul-Kindern? Was für allgemeine herrschende gute Eigenschaften?» Der Pfarrer von Bassersdorf stellte fest: «Alle 3 Schulmeister, Gott sey dank, wüssen ein unterscheid zumachen zwüschen natur- und vorsez- lichen fehleren; jenne suchen sie mit sanftmut zuverbesseren, was aber nicht zuänderen ist, so muss man selbige mit gedult er- tragen; dies aber sind mit Gründlichkeit und Ernst auszureütten.» In Romanshorn sind es «liegen, schweren, garstige reden, zan- ken, händel auf dem schulweg, ungehorsamme, unfleiss im ler- nen, spathe ankonnfft in die schul». Der Pfarrer von Altnau klagt über «schwäzen, lachen, possenreissen in der kirche und schul, liederlichkeit in erlehrnung der pensorum, klagbare aufführung auf dem weg in die schul und aus der schul...» Gelegentlich
werden auch Fehler der Schulmeister genannt. Der Pfarrer von Egnach berichtet: «...die überlassung der schul den eltesten schuleren, die dan und wannige handarbeit [nebenberufliche Arbeit] – das schreiben neüer vorschriften [Texte zum Abschrei- ben], die weitläufige gespräch mit den seinigen oder frembden – die schlechte aufsicht auf die kinder in der kirchen und strassen sind herrschende fehler der lehrenden.» Solches Fehlverhalten von Lehrpersonen soll ja auch heute noch vorkommen! Auch das Überfordern der Kinder wurde kritisiert. In Turbenthal kämpfte der Schulmeister gegen das «unerträgliche herabschnappeln des auswendig gelernten» und verlangte, dass die Kinder «ihre Lection mit gesezter, vernehmlicher Stimme hersagen». Dazu meint der Pfarrer: «Aber so viel Fähigkeit, eine Catechismus- Frage z. B. glüklich in die Bauren-Sprache zuübersezen, kann ich ihm [dem Schulmeister] freylich nicht beylegen.» Selbstkritisch gibt er zu, dass ihm dies selber Mühe mache und findet, es sei sinnlos, den Katechismus schon für die Anfänger als Lesestoff zu verwenden; die Kinder seien dafür zu unreif.
Wie korrigiert man Fehler?
Die Schulmeister des 18. Jh. differenzierten zwischen einem vi- tium naturae, einem Fehler wegen mangelnder Begabung, und einem vorsätzlichen Fehler, der willentlich und vielleicht gar aus Bosheit begangen wird. Die Bestrafung der letzteren ist einfach und die Meinung dazu einheitlich. Der Pfarrer von Felben meint: «Das erste ist, dass man einem kind seinen fehler vorhaltet, und desselben zu überzeügen trachtet. Widerholet es diesen feh- ler, so wird es mit der ruthen gezüchtiget.» Gelegentlich wird versucht die Kinder, an ihrem Ehrgefühl zu packen. Zwar wird in Wigoltingen die «zucht-ruthen» verwendet, aber der Pfarrer findet: «Unter den correcturen sind die besten, wann sie nach beendeter schul sizen bleiben müssen, oder während der schule auf einen besondern bank gesezt werden, der der schimpfbank heisst, das wirket mehr als die härtesten schläge.» Die Gefahr, dass die Lehrer beim Züchtigen übertreiben, hält der Pfarrer von Lustdorf für gering, weil «die besezung der schulmstr von den gemeinden dependiret, und sie alle jahr können entsezet wer- den, so hüten sie sich wohl dass sie nicht allzu scharff mit dem
Uli, der Fehlerteufel.
Schulblatt Thurgau 3 • Juni 2015 RUND UM DIE SCHULE 43
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