Page 48 - Schulblatt Thurgau Juni 2015
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44 RUND UM DIE SCHULE Schulblatt Thurgau 3 • Juni 2015
HÖRSPIEL: FEHLERTEUFELGESCHICHTEN
«Ulimantulus Irrichmich» oder «Uli der Fehlerteufel» brachte die Sekretärin Fräulein Haubenmaus in Bedrängnis, weil sie die Briefe des Herrn Direktors verkehrt schrieb. Mit seiner «Buchstabenwegschleckzunge», «Buchstabenhinspuckspucke», «Tintenwegschleckzunge» und «Fehlerhinspuckspucke» beschämte Uli das verzweifelte Fräulein Sekretärin. Erwachsene sucht er weniger heim; dafür umso mehr die Kinder in der Schule. «Uli» ist eine Figur von Ellis Kaut und verdrehte in Lesefibeln in den 70er und 80er Jahren Buchstaben und klaute Grossbuchstaben.19 Natürlich hatte der «Ulimantulus Irrichmich» auch den richtigen Zauberspruch für seine Taten:
Blitze Blotze Fehlerschreck,
Alles Richtige ist weg.
Blotze Blitze Fehler Mucke, Zwanzig Fehler worauf ich spucke.
knaben Absolom verfahren; und daher muss ich nicht förchten, dass den kinderen nur einer harten procedur willen das lehr- nen wird erleidet werden». Heikler ist die Korrektur eines vitium naturae deshalb, weil er nicht einfach von einem vorsätzlichen Fehler zu unterscheiden ist. In Felben heisst es: «Die fehler im lehrnen werden mit keinen besonderen straffen belegt. Doch kann man offt nicht anderst, als neben der freündlichkeit und sanftmuth auch ernst sehen lassen.» Wenn die Schulmeister nicht zwischen den Fehlerarten zu unterscheiden vermögen, so sei dies nach der Meinung einiger Pfarrer eine Folge fehlender Ausbildung.
In Märstetten heisst es: «In jenem und in diesem falle muss man ihm bessern unterricht geben, damit er sich nicht selbst vorwürfe und hass von seite der eltern die nur gar zu geneigt dazu sind, zuziehe.» Der Pfarrer von Alterswilen und Hugelshofen schärft den «schuhlmeistern ein, vorsezliche fehler mit grösserem ernst zu straffen, als blosse mängel des fleisses, und ein vitium natura einem kind mit gelindigkeit abzugewöhnen.» Nicht für alle Fehler sind die Kinder selber verantwortlich, denn immer wieder ver- weisen die Pfarrer auf die Bedeutung des Elternhauses. Hoch- mut und Eigensinn sind in Felben die herrschenden Fehler. «Die kinder bemerken dises täglich an ihren elteren.» In Wigoltingen heisst es: «Der sittliche character der kindern ist selten dem sitt- lichen character der eltern ungleich; in absicht auf die schule ists unachtsamkeit worüber ich am meisten zu klagen ursache finde, und ein edler ehrgeitz dass eines das andre an geschiklichkeit übertreffe ists was ich zu loben nicht selten anlaas habe.»
Zum Schluss des Abschnitts die zeitlosen und für Lehrpersonen tröstlichen Feststellungen des Pfarrers von Turbenthal: «Die Schule ist nicht der Ort, wo man eigentlich die herrschenden Fehler oder gute Eigenschaften der Kinder am besten kennen lernen könnte: Sie befinden sich da doch stets unter einigem zwang. Indessen, als Schulkinder betrachtet, ist ihr vornehmster Fehler die Abneigung, anhaltend einer und derselben Sache ob- zuligen, zumal wo ihre Hände müssig bleiben sollen, und Emp- findlichkeit bey jeder kleinsten Beleidigung. Daraus entstehen,
so viel ich bemerkt habe, beynahe alle andern Fehler, die sie in der Schule begehen. Ihre Durchgängige gute Eigenschaft ist denn aber auch Lenksamkeit. Sie lassen sich allemal bald wie- der ins Gleise bringen, wenn mans recht anzufangen weiss, und sie nicht schon zu hause gar sehr verdorben geworden.»
Fehlerkunde – mit Teufel
Bei Fehlern handelt es sich gemäss dem Encyklopädischen Handbuch der Pädagogik (1904), um Regelwidrigkeiten und Abweichungen von Normen. Es geht um den «natürlichen Wi- derstreit der Kindheit als solche mit den idealen Musterbildern der Erziehung.» 2 Die pädagogische Untersuchung habe heraus- zufinden, ob ein Fehler einer wirklichen Fehlerhaftigkeit oder der kindlichen Unreife entspringe. Von Fehlern im eigentlichen Sinne soll die Pädagogik nur dann sprechen, wenn Regelwid- rigkeiten der Bildsamkeit vorliegen. Die Fehlerzuschreibung orientiere sich an der Differenz zwischen dem Ist und dem Ideal. Nur allzu schnell neige man indes dazu, diese Differenz als charakterbedingt aufzufassen. «Das Noch-nicht-gehorsam- Sein, Noch-nicht-Ordnung-Halten des Kindes z.B. heisst dann schlechthin Ungehorsam, Unaufmerksamkeit [ ...]» 3 Bei jeder Festlegung von Fehlerprädikaten läuft ein Kind Gefahr, dass ihm seine Kindheit selbst als Fehler angerechnet werde. Aus historischer Sicht argumentiert Alfred Spitzner, dass die Päda- gogik bis anhin genau diese Fehlleistung begangen habe, «weil die überwiegenden theologisierenden Systeme das Kind unter dem Massstab der dogmatischen Zielformeln stellen und die diesen widerstreitenden Eigenschaften desselben als die Folge- erscheinungen des angeborenen Grundfehlers der Erbsünde auffassten.»4 Mit einem Entscheid von Papst Paul VI. im Jahre 1969 konnte der exorzistische Teil des katholischen Taufritus weggelassen werden, «in dem der Priester den Teufel beschwört, den Körper des Täuflings zu verlassen.»5 Anzumerken ist – blickt man in unsere Tage – dass solche Überzeugungen nicht der Vergangenheit angehören. Eine Studie mit dem Titel Beating the devil out oft hem von Murray A. Straus (Hampshire), zeigt, dass der Grossteil der amerikanischen Eltern, die ihre Kinder schlagen, damit das Böse ausgetrieben wollen. 6


































































































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