Page 15 - Schulblatt Thurgau Juni 2015
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wird, wird meist übersehen, dass diese immer schon existierte: nämlich Fehler zu tabuisieren, sie negativ zu bewerten, nach Schuldigen zu suchen, keine Führungsverantwortung zu über- nehmen bzw. Verantwortung abzuschieben usw. Diese kulturel- len Eigenarten – es wäre ein Fehler, hier womöglich von einer Unkultur zu sprechen – sollen durch eine konstruktive, positive, wohlwollende Sicht auf Fehler, Irrtümer Missverständnisse, kurz: auf alle unerwünschten Ereignisse und Zielverfehlungen ersetzt werden.
Von Organisationen können diese und viele andere Ergebnisse der psychologischen Fehlerforschung nur dann nutzbringend umgesetzt werden, wenn man sich in einem ersten Schritt der vorhandenen Fehlerkultur stellt und ihr nicht durch den gut- gemeinten «Blick nach vorne» ausweicht. Versucht man, die vor- handene Fehlerkultur zu überwinden bzw. zu transformieren, be- ginnt ein (Um-)Lernprozess, und das Ergebnis der Bemühungen endet unter Umständen in einer Kultur der Fehlertoleranz oder der Fehlerfreundlichkeit*, die letztlich Ausdruck einer organisa- tionalen Lernkultur ist.
Aus Fehlern lernt man – seit wann und warum?
Die zunehmenden Bemühungen, sich überhaupt mit nicht inten- dierten, zielverfehlenden und unerwarteten Handlungsresultaten (im Qualitätsmanagement genauso wie im Arbeitsschutz) zu beschäftigen, ist zwar an sich eine ganzheitspsychologische Position. Diese wird jedoch in vielen Ansätzen zum Umgang mit fehlerhaften Arbeitsergebnissen wieder aufgegeben. Vor allem wird sie aufgegeben, wenn es um die Erklärungen von Feh- lern geht. Die Ursachen zielverfehlender Handlungen nämlich werden nur allzu oft im Versagen psychischer oder organisatio- naler Einzelleistungen (Aufmerksamkeit, Kontrollprinzipien usw.) gesehen.
Will man jedoch aus dem Fehler lernen oder Erkenntnisse für die Person, die Technik und für die Organisation gewinnen, muss am Anfang eine umfassende Analyse durchgeführt und eine verstehende Perspektive eingenommen werden. Zu ver- stehen gilt es zuallererst, was der Volksmund bereits seit dem 17. Jahrhundert tradiert und was der Wissenschaft einen hehren Anspruch, nämlich den nach Prognostizierbarkeit des Phäno- mens, durcheinanderwirbelt: Fehler bemerkt man nicht, als biss sie begangen sindt.
In den Organisationskonzepten überwiegt nach wie vor die Suche nach Fehlervermeidungsstrategien. Es herrscht eine klassische Gesinnungs- und Normenethik vor. Dass man aus Fehlern lernt, wird heute allenfalls als Entschuldigung, wenn nicht gar als tiefe Resignation, vorgetragen und keinesfalls als Erkenntnisquelle des Handelns erlebt. Die Enttabuisierung fehlerhaften Handelns auf der individuellen, der sozialen und der organisationalen Ebene könnte als eine Revolution der Unternehmenskultur angesehen werden und würde ebenfalls positive Auswirkungen auf gesamtgesellschaftliche Prozesse auslösen.
* Fehlerfreundlichkeit meint eine optimistisch aufklärerische Haltung, die der bewussten Hinwendung zum Fehler und nicht der Abwendung dient.
INFORMATIONEN
Verallgemeinerbare Aussagen aus der psychologischen Fehlerforschung
aus Theo Wehner:
«Sicherheit als Fehlerfreundlichkeit», 1992
• Handlungsfehler treten weder zufällig noch
regellos auf. Die Abweichung vom intendierten Ziel ist kein «Nonsensgebilde», Fehler zeigen vielmehr eine «Tendenz zum Richtigen».
• Fehler sind Ausdruck von Fertigkeiten; die Benennung als «Fehler» ist ein soziales und kein strukturanalytisches Urteil.
• Die Vitalität des fehlerhaften Handelns liegt in der Umstrukturierung von Handlungsgewohnheiten und in der Bereitstellung von Handlungsalternativen.
• Der Fehler ist der aussagekräftigste Fall für Hand- lungsbedürfnisse, Gewohnheiten, soziale Konventionen und situative Gegebenheiten.
• Lebendige und soziale Systeme haben gelernt,
die Auswirkungen von Fehlern harmlos zu halten; komplexe technische Systeme führen hingegen häufig zur Enttrivialisierung von Fehlerresultaten.
Schulblatt Thurgau 3 • Juni 2015 F O K U S 15
«Es ist notwendig, den fehlerhaften Ablauf als vollgültige Handlung und nicht als etwas Patho- logisches anzusehen.»


































































































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