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Schulblatt Thurgau 3 • Juni 2014 RUND UM DIE SCHULE 47








wurden. In vielen F̈llen waren aber nicht einfach uninteressierte 3. Aneignung der Unterrichtsstoffe: Aufgaben zur Raum- 
Eltern oder unwillige Kinder daran schuld. Noch bis weit in die lehre, Auswendiglernen von Gedichten, Repetitions̈bungen usw.

zweite Ḧlfte des 19. Jahrhunderts war Kinderarbeit verbreitet, sei 
es in der Landwirtschaft oder in der aufkommenden Fabrikindu- 4. Weiterf̈hrung der Unterrichtsarbeit: Die im Unterricht 
strie. So ̈usserte sich das katholische Pfarramt Ẅngi: Kinder, die angestossenen Gedankeng̈nge sollen selbstsẗndig fortgesetzt 

vor Schulbeginn von 05:00 bis 07:30 Uhr und nach Schulschluss werden: Geologische Beobachtungen, Versuche im Labora- 
in der Fabrik arbeiten m̈ssen, «sind k̈rperlich und geistig abge- torium, Lekẗre usw.

mattet und betrachten die Schule als Ruheort; sie k̈nnen auch 
keinerlei Hausaufgaben l̈sen, bleiben zur̈ck, nehmen den Lehrer Als didaktische Forderung galt: «Anpassung an die Kraft, Be- 

viel in Anspruch und sind Hemmungen f̈r die anderen Kinder. Sie messung der Zeit, R̈cksicht auf Erholung, Beachtung der ḧusl. 
kommen dann auch mit ihren Fabrikkleidern in den Unterricht und Verḧltnisse, sorgf̈ltige Durchsicht, Verwertung im gesamten 
verderben die Atmospḧre». Um solche Misssẗnde zu beheben, Unterricht.» Wenn auch die Ansichten der P̈dagogen ̈ber Wert 

machte das Gesetz ̈ber das Unterrichtswesen von 1853 nicht und Ausgestaltung der Hausaufgaben wechselten, ein Problem 
bloss Eltern f̈r die Schulvers̈umnisse ihrer Kinder, «sondern auch blieb unver̈ndert: Sie werden nicht immer gemacht und entspre- 

Pflegeeltern, Dienst- und Fabrikherren in gleichem Masse f̈r dieje- chend klagen die Lehrpersonen dar̈ber. Im Zusammenhang mit 
nigen ihrer Pflegekinder, Lehrlinge und Dienstboten verantwortlich».
ungen̈genden Leistungen an den Aufnahmepr̈fungen schrieb 
ein Sekundarschulinspektor vor gut sechzig Jahren:

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich deutsche Kultus- 
ministerien mit dem Thema Hausaufgaben hinsichtlich Kontrolle «Man versteht, woher der Mangel an Konzentrationsf̈higkeit 

und Belastung befasst. Dabei wurde festgehalten, dass die Lehr- kommt. Es kostet oft grosse M̈he, die Aufmerksamkeit der 
personen keine rein mechanischen Schreibarbeiten und sehr Buben und M̈dchen auf den Unterrichtsgegenstand zu lenken. 

zeitaufẅndige Aufgaben erteilen sollen. In den Weisungen zur Die Gedanken der jungen Leute schweifen zu oft in die Ferne, 
Umsetzung des revidierten Thurgauer Lehrplanes von 1879 steht: auf den Fussballplatz, zu den Rennfahrern und anderswohin. 
«Hausaufgaben sollen auf die obern Klassen beschr̈nkt und nur Man hat den Eindruck, dass die Hausaufgaben, ohne die man 

in sehr m̈ssigem Umfange zugelassen werden.» Der provisorische in der Sekundarschule nicht auskommt, da und dort zu wenig 
Lehrplan von 1906/1907 wird in seinen allgemeinen Bestim- serïs erledigt werden. Wie soll das werden, wenn zum Radio 

mungen zum Unterricht konkreter: «12. Aus hygienischen und p̈da- noch das Fernsehen kommt?»
gogischen Gr̈nden sollen die Hausaufgaben so viel als irgend 

m̈glich vermieden werden; denn die Kinder l̈sen ihre schriftlichen 
Aufgaben zu Hause oft unselbstsẗndig oder unter schlechten hy- 
gienischen Bedingungen, und das mechanische Auswendiglernen Hausaufgaben wurden schon immer oft erst im letzten Moment erledigt.
Der Holzstich von 1895 zeigt, dass f̈r viele Gymnasiastengenerationen die 
hat nur geringen Wert.» Fr̈h zeigte sich, dass bei ḧheren Schu- Bahnfahrt zur Schule eine willkommene Gelegenheit war und ist, Vokabeln
len mit dem Fachlehrersystem bei den Hausaufgaben ̈bertrieben zu lernen und Aufgaben abzuschreiben. Dass dabei auch Allotria getrieben wurde 
und neue Beziehungen gekn̈pft werden konnten, versteht sich. S. 104
wurde, die Klage war von «[.] ̈berb̈rdung verbundenen [mit] 
geistigen und k̈rperl. Scḧden.» Um 1900, so Wolff, habe sich eine 

grundlegende ̈nderung abgezeichnet. Bis anhin seien Hausauf- 
gaben umstritten gewesen, und erst der neueren P̈dagogik sei es 
gelungen, «sie organisch dem Lern- u. Bildungsvorgang einzuglie- 

dern.» Unterricht und Hausaufgaben seien selbstsẗndige Teile des 
Bildungsprozesses. Letztere ẅrden der Eigenbescḧftigung des 

Scḧlers dienen. Damit sei einem wichtigen Anliegen der dama- 
ligen Schulreform Rechnung getragen worden, «[.] der Eigenent- 

wicklung des Kindes, der organischen Emporbildung der in seinem 
Wesen liegenden Kr̈fte u. Anlagen, im Gegensatze zur Fremdf̈h- 
rung durch den Lehrer.» Wolff berichtet von Reformbewegungen, 

die den Klassenunterricht beseitigen und die «Einzelstillbescḧfti- 
gung» als alleiniges Bildungsmittel in Schule und Haus anerkennen 

wollten. Eine Idee ̈brigens, die Roger Schank (fr̈her Assistenz- 
professor in Standford f̈r K̈nstliche Intelligenz) in Zusammen- 

hang mit der Einf̈hrung von Computern im Bildungswesen vertrat. 
Die Hausaufgaben sollten 1930 verschiedenen Funktionen dienen:


1. Vorarbeit: Beobachtungsaufgaben zu den Wirklichkeits- 
verḧltnissen in Haus, Garten, Wetterver̈nderungen, den Wirt- 

schaftsverḧltnissen, Naturdenkm̈lern usw.

2. Herbeischaffung von Anschauungsstoff f̈r den Unterricht:

Pflanzen, Flaschenz̈ge, K̈sten mit Keimungs- und Wachstums- 
versuchen, Gegensẗnde der «heutigen Kulturmenschlichkeit» usw.





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