Page 50 - Schulblatt Thurgau 03 2014
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46 RUND UM DIE SCHULE Schulblatt Thurgau 3 • Juni 2014








GESCHICHTE – GESCHICHTEN



Schulkritik: Von 


«Hurra, die Schule 



brennt» und


«Die bl̈de Ufzgi»






1969 gelangten zwei schulkritische – kulturell nicht un- 

bedeutende – Statements an die ̈ffentlichkeit. Das eine – 

Auch in Klosterschulen und anderen Instituten mussten Hausaufgaben erledigt «Hurra, die Schule brennt» bildet den vierten Teil der 
werden. Leben und Lernen waren dort wegen strenger Hausordnungen und
hoher Anspr̈che nicht immer leicht. Nach der Hausordnung f̈r das Konvikt des Filmkom̈die «Die L̈mmel von der ersten Bank» und 
Lehrerseminars Kreuzlingen vom 8. M̈rz 1917 waren die Arbeitszimmer nach dem 
Nachtessen nicht mehr zug̈nglich. «Wer am Abend ̈ber die festgesetzte Stunde flimmerte in den Wohnstuben. Das andere – «Die bl̈de 
hinaus zu arbeiten ẅnscht, hat hiezu die Bewilligung des Konviktf̈hrers einzuholen, Ufzgi» wurde hingegen in den Klassenzimmern gesungen.
welche nur unter der Voraussetzung erteilt wird, dass die Tagesstunden geḧrig zur 
Arbeit ausgenutzt worden sind». Die Bilder stammen aus dem Buch: Horst Schiffler, 
Rolf Winkler (1999): Tausend Jahre Schule. Eine Kulturgeschichte des Lernens in 
Bildern. 6. Auflage, Belser Verlag, Stuttgart und Z̈rich. S. 96
Prof. Dr. Damian Miller, Dozent PHTG & Dr. Hans Weber, 
Leiter Schulmuseum M̈hlebach

A


ls Musikkassette, bespielt von den «Schlieremer In der Umfrage der Z̈rcher Obrigkeit von 1771/72 lautet eine 
Chind», fand dieses Lied grosse Beliebtheit in vielen Frage: «Bemerkt man ̈berhaupt, dass die Eltern die Kinder zu 
Kinderzimmern. Unterbrechen konnte das Abspielen Hause auch unterrichten? Oder doch Aufsicht auf ihr Lernen 

der Kassette nur das elterliche «schloof jetzt», die Beẗtigung haben?» Dies deutet darauf hin, dass die Schule vom Elternhaus 
der Stopp-Taste oder ein ultimativer Bandsalat. Der Ohrwurm einen Beitrag zum Schulerfolg erwartete, und das wiederum be- 

von J̈rg Randegger ḧlt sich bis heute in den emotionalen dingte, dass die Schule den Kindern Aufgaben nach Hause mit- 
Charts der Schulkinder:
gab. Die Umfrage zeigt unterschiedliche Antworten, wie das wohl 

auch heute der Fall ẅre. Lapidar stellte der Pfarrer von Frauenfeld 
«Die bl̈de Ufzgi mached mich verruckt,
fest: «Es ist sehr ungleich.» Die Antwort von M̈rstetten gibt den 
allgemeinen Tenor wieder: «Bemerkt man wenig, dass die eltern 
die choge Arbet isch es wo mich truckt,
die kinder zu hause unterrichten, oder viel aufsicht auf ihr lernen 
ich gieng vill lieber i d’Schule uf Ehr,
haben, da solches doch j̈hrlich in der schulpredigt eingescḧrft 

ẅnn nur die choge Ufzgimacherei n̈d ẅr.»
wird.» Der Pfarrer von Lustdorf wagt eine Quantifizierung: «Gott 
lob ich habe elteren, die in ihren hässeren lehrer ihrer kinder sind, 

[.] aber ihre anzahl erstreket sich wie 1 zu 7.» Viele Eltern waren 
Als Zunft der Lehrerinnen und Lehrer k̈nnen wir beruhigt der Meinung, sie ḧtten ihre Pflicht mit dem zur Schule schicken 
feststellen, dass die Schule im Lied an sich nicht grunds̈tzlich der Kinder erf̈llt und so hiess es «bey vilen: der schulmeister hat 

abgelehnt wird. Ihre Attraktiviẗt wird prim̈r durch die Hausauf- den lohn.» Neben dem Desinteresse der Eltern machten einige 
gaben getr̈bt. Der «Spiegel» vom 22.03.1982 bezeichnet sie als Pfarrer auch die fehlende Bildung der Eltern f̈r die mangelhafte 

«Hausfriedensbruch», Hausaufgaben begr̈nden den Alptraum Untersẗtzung verantwortlich. In der Pfarrei Alterswilen/Hugels- 
einer jeden Familie. Genau genommen handelt es sich bei den hofen: «Es ẅre sehr zuẅnschen, dass eltern diese nothwendige 

Hausaufgaben um eine stillschweigende und gesellschaftlich pflicht zu hause erstatteteten; allein noch sehr viele eltern bey uns 
weitgehend akzeptierte Einf̈hrung der Ganztagsschule – mit an- k̈nnen selbst weder lesen noch schreiben, und diesen ist auch 
derem Personal in anderen R̈umen. Ẅhrend in der Schule die meistens wenig daran gelegen, was ihre kinder k̈nnen.»

Lehrpersonen mit zeitweiliger intrinsischer Motivation der Scḧ- 
lerinnen und Scḧler rechnen d̈rfen, warten – in der Regel – Mit der Einf̈hrung der allgemeinen Schulpflicht dienten die Haus- 

die M̈tter, vergeblich auf diesen leistungssteigernden motiva- aufgaben neben der stofflichen Verarbeitung der Pers̈nlichkeits- 
tionalen Segen. Genau dieses Problem griff Wolff im «Lexikon erziehung. Das Auswendiglernen von Gedichten, Bibelversen, 
der P̈dagogik der Gegenwart» von 1930 auf: «Die Frage, ob der 
Grammatikregeln und fremdsprachlichen Vokabeln war ein An- 
Scḧler Freude an der Arbeit habe, ob seine innere Regsamkeit ḧngsel des Unterrichts. Auch in dieser Zeit vernimmt man Kla- 
ihr entgegenkomme, stellte man nicht [.]»
gen, dass die Hausaufgaben nicht oder nur ungen̈gend erledigt





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