Page 23 - Schulblatt Thurgau 02 2014
P. 23
Schulblatt Thurgau 2 • April 2014 F O K U S 23
Das Zusammenspiel der beiden Formen soll an einem Beispiel de- Bstachuebn in eneim Wrot snid.» genauso schnell lesen k̈n-
monstriert werden: Tina ist eine unauff̈llige, fleissige F̈nftkl̈ss- nen wie einen korrekt geschriebenen Text. Lesetraining in den
lerin. Im Verlauf der Primarschule liessen ihre Leistungen nach, Bereichen «Erfassen von Wortteilen und Ẅrtern» sowie «Lese-
v.a. wenn bei Aufgaben umfangreiche Texte zu lesen waren. Tinas gel̈ufigkeit» sind also die zwei Bereiche, in denen Tina gef̈rdert
Lehrerin vermutet eine Leseschẅche, die Tinas Schulleistungen werden muss.
negativ beeinflusst. Ein normierter Lese-Test zeigt Folgendes: Tina
schneidet beim Wortversẗndnis markant unterdurchschnittlich, Das Beispiel von Tina verdanke ich einer Kollegin, die im
beim Satz- und Textversẗndnis knapp durchschnittlich ab. Die Rahmen der Berufseinf̈hrung den dreiẅchigen Weiterbil-
Lehrerin ist ̈berrascht, weil das Wortversẗndnis nach ihrer Auf- dungsblock absolviert hat. Das Durchf̈hren systematischer
fassung die Grundlage f̈r das Satz- und Textversẗndnis bildet. Lernstandserfassungen von eigenen Scḧlerinnen und Scḧ-
Das ist nicht falsch: Beim Satzversẗndnis muss aber zus̈tzlich lern in diesem Rahmen hat sich beẅhrt. Beinahe 100% der
ein Satz intuitiv in seine Sinneinheiten unterteilt werden, damit 88 Teilnehmenden der letzten beiden Jahre geben an, bei der
man ihn versteht. Beim Textversẗndnis spielt die F̈higkeit zur Auswertung der verschiedenen Lernstandserfassungen (sehr)
Verkn̈pfung von S̈tzen oder Textteilen eine Rolle. Tina hat nicht aufschlussreiche Informationen ̈ber den Lernstand der Scḧle-
damit Probleme; sie kann in einem Test nicht ausreichend schnell rinnen und Scḧler erhalten zu haben. Dabei wurde die bisheri-
Alltagsẅrter und zugeḧrige Bilder miteinander verbinden. Das ge Einscḧtzung der Lernsẗnde nicht in erster Linie korrigiert,
ist typisch: Schlechte Leserinnen und Leser lesen beim Schul- sondern pr̈zisiert, was eine gezielte F̈rderplanung untersẗtzt.
austritt nicht zu fehlerhaft, sondern viel zu langsam. Die Frage Dass diese positive Einscḧtzung des Nutzens systematischer
lautet: Warum liest Tina langsam? Dar̈ber gibt eine Leseprobe Lernstandserfassungen im Rahmen einer Intensivweiterbildung
Auskunft: Tina liest laut einen Text, die Probe wird aufgezeichnet. zustande kam, ist kein Zufall: Das Durchf̈hren von Lernstands-
Dabei zeigt sich, dass Tina, wie es f̈r j̈ngere Kinder typisch ẅre, erfassungen braucht Zeit, diese Zeit muss man Lehrpersonen
auch einfache, ḧufige Ẅrter erliest, d.h. phonologisch rekodiert. geben. Man darf gespannt sein, wie dieser Umstand bei der Ein-
Zudem nutzt sie den Kontext nicht und erliest auch Ẅrter, die f̈hrung des Lehrplans 21 ber̈cksichtigt wird.
im Text mehrfach vorkommen. Tina hat etwas falsch verstanden:
Sie geht davon aus, dass gutes Lesen gleichbedeutend ist mit
einer genauen und vollsẗndigen Verarbeitung der Buchstaben in
einem Wort. Sie muss lernen, die Wortredundanz und den Kontext INFORMATION
zu nutzen. Gute Leserinnen und Leser verarbeiten beim Lesen
nur einen Teil der grafischen Information und nutzen den Kontext, Empfohlene fachdidaktische Lernstandserfassungen:
weshalb sie den Text «Gm̈ess eneir Sutide eneir elgnihcesn www.schulblatt.tg.ch > Magazin > April 2014
Uvinister̈t ist es nchit witihcg, in wlecehr Rneflogheie die
PORTR̈T
Prof. Marco Bachmann, Leiter
Berufseinf̈hrung f̈r Lehrper-
sonen der Volksschule und Leiter
Fachbereich Deutsch Vorschul-
und Primarstufe an der PHTG.
Dozent mit Schwerpunkt Sprach-
entwicklung und F̈rderdiagnostik:
marco.bachmann@phtg.ch

