Page 48 - Schulblatt Thurgau Februar 2015
P. 48
44 RUND UM DIE SCHULE Schulblatt Thurgau 1 • Februar 2015
«Dass schläge etwas seltenes sind, weilen mit liebe weitt mehreres auszurichten ist.»
«Das erste ist, dass man einem kind seinen fehler vorhaltet, und desselben zu überzeügen trachtet.»
Verpflichtung «zu anständigem Betragen» und «Reinlichkeit». An die Adresse des Lehrers heisst es: «[...] einem liebreichen und würdigen Benehmen gegen seine Schüler.» 16 Was bedeutet aber «anständiges» Betragen? Gebote: «Freundlichkeit in Wort und Blick, Fröhlichkeit und unbefangene Freimütigkeit, Vertraulich- keit und Geselligkeit [ ... ] Höflichkeit gegen Lehrer, Vorgesetzte und Erwachsene überhaupt.»
Verbote
«Ein polterndes blöckiges Hereintreten, anlehnen statt stehen, hocken statt sitzen, schielen und blinzeln anstatt heiter auf- schauen, schreien anstatt reden, wiehern anstatt lachen, [flu- chen und schimpfen]; die Nase mit der Hand schneuzen, in der Nase mit den Fingern stochern, den Mund gähnend aufsperren, an den Fingern nikelen [...] dem Andern ins Gesicht greifen, oder ihm den Atem (unreinen) in Mund und Nase blasen, den Speichel vor sich hin werfen, beim Schneuzen mit mächtigem Tone blasen, Aufkoppern (Gürbsen) als ob alle Gedärme sich entleerten, durch die Nase schoppern [...]»17 An den Lehrer richten sich die Reinlichkeitsgebote, da zu beklagen war, dass einige Schulmeister es damit nicht genau nahmen. Sie seien sich nicht bewusst, dass sie einer öffentlichen Amtstätigkeit nachgingen. Mit einer anständigen Kleidung dokumentiere der Lehrer seinen Respekt vor dem öffentlichen Amte. 18
Härtere werkzeuge zur zucht sind nicht üblich; ich würde selbige auch nicht dulden. Nach Salomon.» Bei der Durchsicht der Fehler- listen fällt auf, dass das Schwänzen nur vereinzelt erscheint. Mit der Einführung der obligatorischen Schulpflicht ändert sich das; die Absenzen werden zum Hauptthema. Während heute diskutiert wird, wie weit die Schule auch für den Schulweg verantwortlich sei, ging deren Aufsichtspflicht früher weiter, wie das Beispiel von Altnau zeigt: «Schwäzen, lachen, possenreissen in der kirch und schul, liederlichkeit in erlehrnung der pensorum, klagbare auffüh- rung auf dem weg in die schul und aus der schul, werden nach vorhergegangenen vorstellungen und wahrnungen mit der ruthe
Schulumfrage 1771/72
Seit es Schulen gibt, ist regelmässig von «Schul-Zucht» und von Strafen die Rede. Auf Abbildungen aus verschiedenen Zeiten sind die Schulmeister meist mit dem Attribut «Rute» dargestellt. In der Zürcher Schulumfrage von 1771/72 19, die auch die evange- lischen Schulen des Thurgaus einschloss, befassen sich fünf von 81 Fragen mit der «Schul-Zucht». Auf die Frage «Was für Fehler und wie werden sie in der Schule bestraft» antwortete der Pfarrer von Müllheim kurz: «Ein jeder fehler wird gestrafft je nachdem er beschaffen ist.» Die meisten Antworten waren konkreter. «Liegen, schweeren, kleine diebereyen, raufen, unhöfliches betragen gegen erwachsene und trägheit in ihren schul-verrichtungen» sind für den Pfarrer von Wigoltingen häufige Fehler. Die Strafen dafür waren unterschiedlich. Meistens versuchte man es mit Ermahnungen, nützte das nichts, kam der Griff zur Rute. So in Felben: «Liegen, übernammen, schweeren [lügen, nachrufen, schwören], sind die allgemeinen fehler der jugend weil sie es täglich von den alten sehen und hören. Das erste ist, dass man einem kind seinen feh- ler vorhaltet, und desselben zu überzeügen trachtet. Widerholet es disen fehler, so wird es mit der ruthen gezüchtiget.» Für den Pfarrer von Märstetten gab es bei der Bestrafung Grenzen: «Die fehler des späthe-kommens, des muthwilligen ausbleibens, der un- sittsamkeit werden theils mit worten, theils mit der ruthe bestraft.
gestraft.» Auch wenn Körperstrafen üblich waren, gab es auch Ehrenstrafen. Diese waren in ihrer Wirkung sicher mit der Kör- perstrafe vergleichbar, nach Meinung verschiedener Pfarrer sogar wirkungsvoller. Auf die Frage, ob man mit gewissen Strafen bei Lernfehlern den Kindern nicht das Lernen verleide oder gar die Schule verhasst mache, meinte der Pfarrer von Lipperswil: «Um diesen fehler auszuweichen, müssten die schulmeister selbst mehr psychologische beobachtungen anstellen können u. wollen, mehr kenntnis der menschen besitzen, aber [...] Die beschämenden correcturen sind aussert zweifel mit klugheit gebraucht, die frucht- barsten; unter 100 kindern ist vielleicht kaum eines gegen lob u. tadel gegen ehre und schande gantz und gar unempfindlich, wenn nehmlich die versuche mit ihnen in der gesellschafft anderer kinder gemacht werden.» Gleicher Meinung war der Neunforner Amts- bruder: «Erst nach widerhollten zusprüchen wird in hiesigen schu- len zu einer thättlichen abstraffung geschritten, so dass schläge etwas seltenes sind, weilen mit liebe weitt mehreres auszurichten ist, man richtet sich in der abstraffung nach der beschaffenheit der fehleren.» Der Pfarrer von Bischofszell empfahl dem neuen Schulmeister von Gottshaus «anstatt des schlagens, wenn dises nicht gar nöthig ist, die hierin fehlenden an der ehre zu strafen; sie von anderen abzusondern; eine erste u. zweite schmach bank zumachen; u. hingegen den guten, u. fleissigen einen ehren ort zu geben; oder auch den unfleissigen, anstatt sie länger in der schuhle zubehalten, vilmehr das buch zunehmen, u. ihnen zusagen, sie seyend des lehrnens nicht würdig und sie also zunöhtigen ihn wider um erlaubtnuss zum lehrnen zubätten.»
Gegen Ende des 18. Jh. wurden als Folge der Aufklärung die Lernvoraussetzungen differenzierter betrachtet. Der Fragebo- gen machte einen Unterschied zwischen vitium naturae (Mangel an Begabung) und böswilligen Fehlern, auf die in Bezug auf die Strafen unterschiedlich zu reagieren war. Aufgrund der Ant- worten darf angenommen werden, dass dies mindestens den Pfarrern und einigen Schulmeistern durchaus bewusst war. In Langenrickenbach hiess es: «Ein vernünfftiger schulmeister


































































































   46   47   48   49   50