Page 46 - Schulblatt Thurgau Februar 2015
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42 RUND UM DIE SCHULE Schulblatt Thurgau 1 • Februar 2015
«Unter Schuldisziplin verstehen wir den Inbegriff derjenigen Vorschriften, welche insbesondere auf ein geordnetes Schulleben und auf die Erfüllung der eigentlichen Schulpflichten Bezug haben.»
GESCHICHTE – GESCHICHTEN
Lob der Disziplin – aber welcher?
Kaum ein Thema verleitet mehr zur Bewirtschaftung von Klischees wie Disziplin.
Prof. Dr. Damian Miller, Dozent PHTG & Dr. Hans Weber, Leiter Schulmuseum Mühlebach
ren: «Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat Kantons Thurgau zur «Schul-Disciplin» von 1841 lautet:
schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie
widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und Eins ist, das müssen wir verstehn, tyrannisieren ihre Lehrer.» Genau solch Abgegriffenes wärmen Eins ist, das darf uns nicht entgehn,
wir nicht auf. Der Beitrag richtet im ersten Teil die Aufmerksam- dass wir berufen, Menschen zu erziehen,
«Ein Gedicht von der freiwilligen «Schullehrer-Gesellschaft» des Niemand soll befürchten, dass wir Sokrates zitie-
keit auf präventive Massnahmen um 1835 und im zweiten inte- ressieren Erfahrungen von Schulmeistern in der Umfrage von 1771/72. Die vorangestellten Präventivvorschläge können als Reaktion auf die bisherigen Schulerfahrungen gedeutet werden.
Schulstruktur als Disziplin-Prävention
Zu bedenken ist, dass die vielfältigen Spannungsverhältnisse zwischen den Generationen sowie zwischen Person und Insti- tution – zwischen Individuum und Staat – allgegenwärtig sind. Wenn unser Auto die geplante Parkzeit um ein paar Minuten überschreitet, gemahnt uns ein Einzahlungsschein an die Über-
und dieses Eine ist die Disziplin.
Das ist die Kunst, das ist das weise Walten,
Im Zaune stets das kleine Volk zu halten.
’S ist eine schwere Kunst. Es fragt sich nun « Worauf beruht sie, und was ist zu thun,
Dass uns die Kleinen auf das Wort parieren
Und wir nur sie, und sie nicht uns regieren? 4
All guter Wille, die Kleinen zu disziplinieren, vermochte nicht zu verhindern, dass ein Inspektor nach einem Unterrichts- besuch schrieb: «Wir erleben hier die immerwiederkehrende Tatsache, wie das Kind eine gewitterte, vermeintliche oder tat- sachliche Schwäche seiner Erzieher erbarmungslos ausnützt» (1954/55).5 Alle Lehrpersonen der Volksschule stehen vor der Aufgabe, naturwüchsig-ungestümes bis hin zu verwahrlost-irrem Verhalten auf ein zivilisiertes Mass an Agilität und affektiv-kogni- tiven Emissionen zu disziplinieren. Durch Erziehung sollen die Leidenschaften zivilisiert werden: Die Bedrohung des Menschen durch andere soll durch Regeln in geordnete Bahnen gelenkt werden. Die urtümlich bewegungsreiche Energie besteht nur noch als Potenz. Sie ist – folgt man dem Soziologen Norbert Elias – in der Kulisse des Alltags gespeichert. 6 Demnach beruht ein wesentlicher Akt der Zivilisation darin, Triebe zu kanalisieren und der selbstregulierten Zurückhaltung zu unterwerfen – dies soll, wie kann es anders nicht sein, bei den Kinder beginnen: «Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.» Das Unge- stüme, Undisziplinierte, Unkontrollierte und wie all die Un-Wörter auch heissen, zu zivilisieren, ist die Aufgabe der Erziehung – insbesondere der öffentlichen Erziehung, also der Volksschule. Damit sind alle Komponenten für ein konfliktreiches Verhältnis zwischen Erziehung und Kind gegeben. Das Mise en place um- fasst im Minimum die Zutaten: Kindlicher Bewegungs- und Gel- tungsdrang, Wirksamkeitsbedürfnis, Rücksichtnahme auf andere, Berufsauftrag, Lehrplanorientierung, Individualisierung, Gruppen-
tretung. Die Zivilisierung des «homo sapiens», sprich: Die un- ausweichliche Entwicklung, vom «Guguseli-Tataaaa» über den Pickel-geplagten Rotzlümmel zum smarten Berufsmann mit Krawatte, Eigenheim, monogam lebend und Einkindfamilie, hat viele Zusammenstösse für Eltern1 sowie Lehrpersonen auf
Lager.2 Für Schulmeister bewegt sich der Alltag seit Anbeginn, sicher aber seit der Einführung der Schulpflicht ab 1830 zwi- schen unzähligen Leiden und Freuden. 3 Die Anrufung der guten alten Zeit als «der Lehrer» dem Pfarrer und dem Arzt gleichge- stellt war, beschränkt sich auf wenige Momente der Erinnerung und verblasst bei genauem Hinsehen. Damit will gesagt sein, dass jede Lehrperson mit je zeiteigenen Herausforderungen zurecht kommen muss.
Fokus- Thema


































































































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