Page 18 - Schulblatt Thurgau Februar 2015
P. 18
18 F O K U S Schulblatt Thurgau 1 • Februar 2015
«Wenn Kinder
nicht gerne kommen würden, könnte ich lange mit einem Regelkatalog wedeln.»
*LITERATUR
Antje Damm
«Ist 7 viel?»
Moritz-Verlag ISBN-10:3-89565-147-8 CHF 28.00
terlagen. Eine Roggwiler Kollegin zeichnete eine Lernlandschaft, die nun als Tisch-Set (Bild Inhaltsverzeichnis) für Lernhäppchen dient. Es ist ein Stoffplan in Bildern, wobei Erlerntes ausgemalt oder eingekreist werden darf. Wir wandeln im Mathe-Wald, sprin- gen über die Sprach-Wiese und den Sportplatz, verweilen im Künstler-Viertel und wachsen zum Schreibprofi heran: Satzbau, Laute, Wortarten. Post-it-Zettel klemmen die Lehrerinnen unter die Kunststoffmatte. «Suche dir einen Platz, wo du gut vorwärts kommst!» – heisst es da beispielsweise.
Wie erweitert nun die aufnehmende Stufe die eingeübten Gepflogenheiten?
Symbolbilder und die eigene Befindlichkeit.
Mittelstufe
Mittelstufenlehrerin Denise Inauen betritt nach der Pause ihr Schulzimmer. Es ist derart still, dass wir zweifeln, ob sich noch jemand darin befindet. Wie macht sie das bloss? Wie erreichte die Kollegin diese Ruhe, dieses Sich-Sammeln nach der Pause? «Beziehung ist alles. Die Disziplin muss aus den Kindern wach- sen. Wenn sie nicht gerne kommen würden, könnte ich lange mit einem Regelkatalog wedeln.» So fragte sie in den ersten Wochen ihre Viert- bis Sechstklässler: «Wie muss es in unserem Klassenzimmer sein, damit ihr euch wohlfühlt?» Gemeinsam wurden Regeln erarbeitet, die dem Gemeinschaftssinn dienen sollen. Ende der Woche wird im Klassenrat jeweils eine spezielle Regel für die kommende abgemacht. Diese wird im Rückblick auf die vergangene Woche vereinbart.
Nach der Pause gilt die Regel, dass jedes Kind an seinem Platz arbeitet bis die Lehrerin kommt. Ob es zeichnet, rechnet, liest oder schreibt ist dem Kind selbst überlassen. Zwei Kinder wachen als Regelhüter darüber, dass sich sämtliche Lernenden an die Vereinbarungen halten. Sollte sich jemand nicht daran halten, schreiben die Regelhüter die Namen auf und legen den Zettel der Lehrerin auf den Tisch. Je nach Einschätzung der betref- fenden Kindern und der Lehrerin muss von den vier Wochen- Murmeln eine als Strafpunkt abgegeben werden. Verliert jemand innert Wochenfrist alle, ist eine Zusatzleistung angesagt. «Diese soll jedoch dem Kind was bringen: Schönschrift üben, Arbeiten für die Gemeinschaft ausführen.»
Regeln basieren aus Überzeugung auf Ritualen. So ist bereits der Tagesbeginn mit dem Morgenkreis klar geordnet. Am Mon- tag gibt es einen Rückblick auf das Wochenende, am Dienstag beschäftigen sich die Kinder mit einer philosophischen Frage aus dem Büchlein «Ist 7 viel?»*. Jeden Mittwoch gibt es eine «Was- wäre-wenn?»-Frage, die in Gruppen beantwortet wird. Donners- tags dürfen jeweils drei Kinder etwas zum Zeigen mitbringen und am Freitag gibt es ein Spiel. So lernen alle, aufeinander einzuge- hen, Einwände anzunehmen und selber daraus Folgerungen zu ziehen. Sicher dient es der optimalen Klassenführung auch, dass Denise Inauen äusserst klar und knapp – unmissverständlich und doch einfühlsam – sagt, was Sache ist. Es ist augenfällig, dass «Beziehung» bei ihr nicht eine Worthülse ist. Man unterhält sich auf Augenhöhe. Die Schülerinnen und Schüler geniessen Frei- heiten; es wird auf ihre Selbstständigkeit und Verantwortlichkeit gezählt. Dem Lernen wird in der Roggwiler Unter- und Mittelstufe durch wenige Regeln eine sehr vorteilhafte und sozial engagierte Basis gelegt.