Page 57 - Schulblatt Thurgau 04 2014
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Schulblatt Thurgau 4 • August 2014 VERB̈NDE 57
CARTE BLANCHE
Fotografierverbot am ersten Schultag?
Die VSG Aadorf verbietet Film- und Bildaufnahmen im Schulzimmer. Das weckt gemischte Reaktionen.
Das SCHULBLATT bietet zwei Exponenten des VTGS eine Carte Blanche.
PRO
CONTRA
Martin K̈stli, Pr̈sident VSG Aadorf
Peter Welti Cavegn, Fachexperte Gesundheitsf̈rderung &
Pr̈vention, Perspektive Thurgau und Pr̈sident SSG Sulgen
Der Umgang mit den modernen Kommunikationsmitteln wird in jeder An und f̈r sich sind die ganzen neuen Medien ja nicht schlimmer als Auto-
Klasse der VSG Aadorf laufend thematisiert und geḧrt f̈r die Scḧ- fahren (Raserei) oder Buchdruck (mein Kampf), es ist der Gebrauch der
lerinnen und Scḧler zum Alltag. Sie sind dahin gehend sensibilisiert problematisch ist. Jeder der in letzter Zeit auf einem Pausenhof (ohne Me-
und respektieren das Handyverbot im Schulzimmer.
dienverbot) unterwegs war, wird sofort verstehen, was die Schulleitungen
meinen, wenn sie «bewahren und scḧtzen» m̈chten. Smartphone und Co.
Unsere Elternmitwirkungsorganisationen f̈hren immer wieder Infor- fressen Aufmerksamkeit. Auch Cyber-Bullying und unkontrollierte Fotover-
mationsanl̈sse mit Fachpersonen zu diesem Thema durch. Generell breitung sind ernsthafte Probleme. Doch beim Aussperren und Verbieten
wird R̈cksicht auf Eltern genommen, die ausdr̈cklich keine Ver̈f- bleibt die zentrale Frage ohne Antwort: Wann wo und mit wem lernen die
fentlichung von Bildern ihrer Kinder im Internet ẅnschen. Die Erfah- Scḧler und die Eltern denn dann den souver̈nen Umgang mit diesen
rung hat gezeigt, dass dies nicht gen̈gt. Appelle und Hinweise auf Medien? Im Gespr̈ch mit Schulen ḧre ich es oft angedeutet: Die Schule
den Datenschutz werden von Eltern leider nicht respektiert.
endet am Nachmittag – danach darf jeder selbstbestimmt mit dem Ger̈t
machen, was er will auch die Eltern. Gleichzeitig klagt man, dass auch viele
Mit einem partiellen Film- und Fotoverbot, ausschliesslich im Schul- Erwachsenen nicht die notwendigen Kompetenzen f̈r einen souver̈nen
zimmer ẅhrend des Unterrichts, sollen Kinder vor Blossstellungen Umgang mit digitalen Medien haben – woher auch?
gescḧtzt werden, die durch die Ver̈ffentlichung von Bildern entste-
hen, welche sie in ung̈nstigen Situationen zeigen. Gleichzeitig ist es Wir m̈ssen uns gemeinsam der Problematik stellen. Wir m̈ssen alle den
f̈r die Lehrpersonen ein einheitliches und verbindliches Mittel zur achtsamen Umgang lernen. Ich m̈chte den Aadorfer Entscheid nicht dra-
Durchsetzung dieses Schutzes f̈r die Kinder.
matisieren, aber – wie sang Bettina Wegner: Doch im Lauf von meinen
Jahren lernte ich verstehen – Diese Gebote kreiert man ja nur, um sie zu
Die VSG Aadorf wertet damit die Integriẗt der Scḧlerinnen und umgehen. Ich kann auch hinter diesem Aadorfer Entscheid stehen – wenn
Scḧler ḧher als den Wunsch der Eltern nach Verewigung eines es nicht der Beginn einer Kette von Verboten ist. Sicher ist: die neuen Tech-
besonderen Moments im Lebenslauf ihres Kindes. Wir betrachten nologien werden nicht wieder weggehen. Sie werden sogar noch kleiner
daher diese Massnahme nicht als Kollektivstrafe sondern als Kollek- und allgegenẅrtiger werden, noch «unsichtbarer» und unkontrollierbarer.
tivschutz.
Die Schule hat also nur die Wahl, ob sie die Scḧler beim Umgang damit
kompetent begleitet und untersẗtzt oder ob sie ihre Medienkompetenz
Der Verzicht auf das Foto oder Filmchen im Schulzimmer kann auf sich alleine gestellt mittels Versuch und Irrtum entwickeln. Die heftigen
ebenso zu Hause beim Start, auf dem Schulweg, vor dem Schulhaus Diskussionen sind gleichzeitig Anlass zur Hoffnung.
oder bei der Begr̈ssung durch die Lehrperson an der Schulzimmer-
ẗre wettgemacht werden. Nichts vom scḧnen Moment des ersten Angesichts des digitalen Wandels braucht es Dialog und Versẗndigung
Schultages geht dadurch verloren. Die VSG Aadorf ist sich bewusst, ̈ber gemeinsame Werte, braucht es Streit, gemeinsames Aushandeln,
dass sie damit Tabus und Datenschutzprobleme in einem nur sehr Kompromisse. Die Situation ist wie geschaffen f̈r die Bildung! Dies hiesse
beschr̈nkten Bereich angeht. Im Sinne des Schulleitbildes («Wir zei- lat. paevenire – Pr̈vention – zuvorkommen!
gen Wertscḧtzung und gegenseitige Achtung») will sie jedoch allen
Scḧlerinnen und Scḧlern mit dem Schulzimmer einen in diesem
Sinn gescḧtzten Raum bieten.