Page 47 - Schulblatt Thurgau 04 2014
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Schulblatt Thurgau 4 • August 2014 K U LT U R 47
HISTORISCHES MUSEUM
INFORMATIONEN
Wagnis Oral History
Workshop
Oral History und Erinnerung. Methode und Praxis an Beispielen
erl̈utert. Mit Dr. Dominik Schnetzer, stv. Direktor und Christian
Hunziker, wissenschaftlicher Mitarbeiter Historisches Museum
Thurgau.
Die Methode, Geschichte m̈ndlich zu erfassen, hat
ihre T̈cken. Oral History bescḧftigt sich mit der Auf der F̈hrung f̈r Schulklassen haben Erinnerungskultur
und Selbstdarstellung nebst der Pr̈sentation von K̈nzlers
m̈ndlichen ̈berlieferung und hat dabei unterschied-
Leben und Leistungen ebenfalls einen zentralen Stellenwert.
lichste Klippen zu umschiffen.
Infos/Anmeldung: www.historisches-museum.tg.ch
Melanie Hunziker, Historisches Museum Thurgau, Kulturvermittlung
August K̈nzler. Thurgau – Tanzania
Altes Zeughaus Frauenfeld, von Dienstag bis Sonntag
Hvon 14:00 – 17:00 Uhr gëffnet, Eintritt frei.
Bis 26. Oktober 2014
anspeter K̈nzler, Erica Bl̈chlinger, Fritz Ernst, Na-
nette Bossart-Gloor und Walter R̈fenacht haben
etwas gemeinsam: Sie kannten August K̈nzler per-
Fritz Ernst, Zoologe auf August
s̈nlich, den Kesswiler, der aus Abenteuerlust nach Tanzania
ausgewandert war. Die Erinnerungen dieser Zeitzeugen waren K̈nzlers Big Game Ranch,
f̈r die Ausstellung ̈ber das Leben und Wirken des Thurgauers erinnert sich an die Zeit in
Tanzania und erz̈hlt in der
eine wertvolle Basis. So wichtig aber die m̈ndlich ̈berlieferten
Informationen sind, so heikel ist die Erfassung derselben.
Ausstellung «August K̈nzler.
Thurgau – Tanzania» davon.
Die Methode Oral History
Bild: Privatbesitz Fritz Ernst
Die Produktion einer Oral-History-Quelle, indem Zeitzeugen inter-
viewt werden, ist eine anspruchsvolle Angelegenheit. Sie zielt auf
Wissen ab, welches ohne diese Befragung f̈r die Geschichtswis-
senschaft nicht zug̈nglich ist. Durch falsches Vorgehen k̈nnen
Wissensinhalte verzerrt werden oder wieder verloren gehen. Ein
Oral-History-Interview l̈sst sich zudem nur einmal durchf̈hren, da
in der Wiederholung Auslassungen drohen oder spontan auftau-
chende Erinnerungen versteckt blieben, weil der Interviewte davon jedoch suggeriert es gar nie Stattgefundenes als Erinnerungsbau-
ausgeht, wichtige Inhalte bereits in der ersten Runde erz̈hlt zu stein, indem es Verkn̈pfungen zwischen Inhalten herstellt, die ei-
haben. Besonders diffizil ist die Methode auch, weil unser Gehirn gentlich gar nicht miteinander in einem Zusammenhang stehen.
beim Prozess des Erinnerns sehr kreativ vorgeht.
Die Erinnerungen einfangen
Die «verfl̈ssigte» Erinnerung
Aufgrund dieser Eigenart des menschlichen Gehirns muss sich
Die wissenschaftliche Forschung weiss heute, dass jede Erinne- der Interviewende inhaltlich sehr gut auf ein Oral-History-Inter-
rung ein spontaner und fantasievoller Akt des Gehirns ist. Beim view vorbereiten: Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der ent-
Erinnern geht unser Denkapparat selektiv vor und produziert sub- sprechenden Zeitepoche, dem damaligen ̈ffentlichen Diskurs
jektive Bilder und Geschichten; von Objektiviẗt kann dabei keine zum Thema, mit dem Thema an sich und schliesslich mit der Bio-
Rede sein. Die individuellen Erlebnisse eines Menschen und die grafie der Zeitzeugen sind unerl̈sslich. Nur so kann er vermeiden,
kollektiven Erfahrungen seiner Generation ̈berschreiben sich die Erinnerungen durch eigene Aussagen zu beeinflussen, aber
im Moment des Erinnerns. Dies ruft ein gemischtes Bild hervor, auch feststellen, wann eine Erinnerung nicht den historischen
welches in der Realiẗt so gar nie existiert hat. Es entḧlt Kom- Tatsachen entspricht, da sie den erl̈uterten «verfl̈ssigten» Pro-
ponenten, an die sich die interviewte Person eigentlich gar nicht zessen des Ged̈chtnisses entspringt.
pers̈nlich erinnern kann. Zudem mischen sich alle Erfahrungen,
Informationen, Meinungen, Diskussionen, etc., die zwischen dem Oral History im Historischen Museum Thurgau
erinnerten Ereignis und dem Interview liegen, ebenfalls in die Er- Ein Bestandteil der Ausstellung «August K̈nzler. Thurgau – Tan-
z̈hlung hinein und werden Teil des produzierten Bildes. Es kann zania» sind die Stimmen der eingangs genannten und weiterer
dabei so weit kommen, dass das Gehirn im Laufe der Zeit aufge- Zeitzeugen. Bei den daf̈r gef̈hrten Interviews galt es die erl̈u-
schnappte Inhalte aus Presseartikeln oder Spielfilmen in die per- terten Aspekte von Oral History zu ber̈cksichtigen und ent-
sprechend anzugehen. Schulklassen der Gymnasialstufe k̈nnen
s̈nliche Erinnerung einbaut, um Erinnerungsl̈cken zu schliessen.
Es ist also der Akt des Erinnerns selbst, der die Erinnerung beein- von unseren gesammelten Erfahrungen profitieren bei einem
flusst. Das Gehirn l̈sst Dinge aus und vergisst sie; anders herum
Workshop zu dieser Methode der Geschichtsforschung.