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Schulblatt Thurgau 2 • April 2014 RUND UM DIE SCHULE 51








ERGEBNIS-PUBLIKATIONEN EINZELNER TIMSS und PISA. In der Bundesverfassung von 1874 wurden die 
LUZERNER GEMEINDEN 1880
Kantone verpflichtet, «f̈r gen̈genden Primarunterricht» zu sor- 

gen. 12 Da stellen sich zwei Probleme: a) Was heisst «gen̈gend»? 
und b) Wie wird der «gen̈gende Primarunterricht» eingefordert 
und kontrolliert? Mit der «Schulvogtvorlage», die 1882 von Volk 

und Sẗnden bachab geschickt wurde, konnte der Bund nicht 
wie geplant auf die Kantone einwirken. Ein anderes Instrument, 

das auf dem Verordnungsweg, also ohne Referendum, schon vor 
der Schulvogtabstimmung eingesetzt wurde, bestand in den Re- 

krutenpr̈fungen. Mit diesen formulierte der Bund Mindestanfor- 
derungen an die Primarschulen z.B. Mathematik Aufg. 135: «Ich 
kaufe 9 Postmarken zu 5 Rp. und gebe 1 Frankensẗck. Wieviel 

erhalte ich zur̈ck?»13 Die Aufgaben wurden in vier Schwierig- 
keitsstufen aufgeteilt und entsprechen den Progressionsstufen 

der heutigen Bildungsstandards. Das Regulativ vom April 1875 
bestimmte die erste nationale Pr̈fungsdurchf̈hrung. 1914 wur- 
den sie angesichts des I. Weltkriegs ausgesetzt und erst 1941 

wieder aufgenommen. Ein generelles Thema blieb, bleibt und 
wird es immer bleiben: 1860 beklagte der bernische Schulinspek- 

tor Antenen, dass der in der Volksschule vermittelte Stoff nicht 
haften bleibt.14 Ab 1974 wurde der Examenscharakter der Re- 

krutenpr̈fungen aufgegeben.

Zur̈ck zu den Anf̈ngen der Rekrutenpr̈fungen und ihrem Eva- 

luationsauftrag: Selbstversẗndlich blieben die Pr̈fungen und die 
Bekanntgabe der Resultate nicht ohne Auseinandersetzungen, 

die sich nicht nur auf ihre methodischen M̈ngel bezogen. Die 
Pr̈fungsergebnisse wurden anhand von Kantonsranglisten z. B. 

1875 bis 188215 publiziert. Es braucht nicht viel Phantasie, um 
sich vorstellen zu k̈nnen, dass die Konfliktthemen des Kultur- 
kampfes wie liberal vs. konservativ, reformiert vs. katholisch, 

Stadt vs. Land neue Nahrung erhielten. Die Ergebnispublikatio- 
nen erfolgten auch bez̈glich einzelner Gemeinden z.B. Luzern 

188016. So wurde ersichtlich, bei welchen Lehrern nachhaltig 
gelernt wurde. Manch ein Schulmeister geriet ̈ber schlechte 

Resultate in Verzweiflung und wurde zum Gesp̈tt am Wirts- 
haustisch. Hans Wyss, Lehrer aus dem Haslital schrieb 1886:



VER̈FFENTLICHUNG DER REKRUTEN- 
«Den Stand vur Scḧ̈l zeigt Jahr um Jahr 
NAMEN, MIT GUTEN ODER SCHLECHTEN 
D’Rekrutenpriffig sunneklar.
NOTEN, FRIBOURG 1899
Drum hed ma lang zum vor̈̈s Chummer, 

me heigi den e schlechti Nummer
Und miessti den bi Gross und Chliinn 

Von Gringsten en Scḧ̈lmeister siin.»17





Mit der Evaluation der Schule anhand der Rekrutenpr̈fungen 
und der Ver̈ffentlichung der Resultate an Kanton und Lehrer 

war noch nicht genug Feedback geleistet. Die Namen der Re- 
kruten, ihre Pr̈fungsergebnisse und ihr Beruf wurden publiziert 

z. B. Amtsblatt Obwalden 1894. 18 Bei solcher Praxis konnte 
eine bildungspolitisch fundierte Kritik nicht ausbleiben. Im Be- 
richt von 1905 wurde festgestellt, dass die Pr̈fungsleistungen 

l̈ngst nicht alleine durch die Schule begr̈ndet werden. Es sind 
Themen, die wir heute unter den Begriffen «Soziökonomischer





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