Page 12 - Schulblatt Thurgau 02 2014
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12 F O K U S Schulblatt Thurgau 2 • April 2014
GESPR̈CH
«Im Fremden
erkennen wir
«F̈r mich ist das das Eigene»
Wohlbefinden eine
Grundvoraussetzung,
damit Lernen ̈berhaupt Professor Dr. Norbert Landwehr von der FHNW emp-
stattfinden kann.»
fiehlt zur Reflexion der eigenen Praxis ein kollegia-
les Feedback und bei ḧherem Objektiviẗtsanspruch
eine datengesẗtzte Evaluation.
Interview mit Norbert Landwehr: Urs Zuppinger
B
eide Formen der R̈ckmeldung sind – institutionell sicher- die gute Prozessgestaltung (z.B. versẗndlich unterrichten, den
gestellt und kulturell etabliert – ein entscheidendes Jugendlichen in Konfliktsituationen respektvoll begegnen u.a.)
Hilfsinstrument innerhalb der Qualiẗtsentwicklung
und die Erzeugung von guten Lernergebnissen (Lernerfolg der
einer Schule. Der Leiter des Zentrums Bildungsorganisation und Scḧlerinnen und Scḧler). Beides sollte ebenfalls in die Evalua-
Schulqualiẗt an der FHNW Brugg-Windisch, Prof. Dr. Norbert tion einfliessen.
Landwehr, erl̈utert im Gespr̈ch mit dem SCHULBLATT seine
Vorstellungen von Selbstevaluation.
Wie messen Sie innerhalb dieser Ebenen?
Bei den Lernzielen haben wir eigentlich den Anspruch, dass
Herr Professor Landwehr, wann hat f̈r Sie eine Schule diese nachhaltig erf̈llt und nicht nur f̈r die Pr̈fung abruf-
Qualiẗt?
bar sind. Da stehen wir bereits vor einem Messproblem, da
Norbert Landwehr: Puh, das ist eine schwierige Frage. Ich kann wir meist einfach das erfassen, was unmittelbar im Anschluss
hingehen und 150 oder auch 200 Kriterien auff̈hren; ich k̈nnte an den Lernprozess verf̈gbar ist. Was dann in einem Jahr
diese an der Hattie-Studie, die zur guten Schule viele Aussagen noch abrufbar ist, f̈llt aus dem Mess-Filter. Es gibt kaum
macht, festmachen. Unter dem Gesichtspunkt des Qualiẗts- Instrumente, die weiter reichen; oft fragt man doch einfach:
managements neige ich zu einer abstrakten Formulierung: Eine Was ist im Anschluss an den Unterricht vom Stoff noch pr̈-
gute Schule ist die, die sich stets zum Gegenstand der eigenen sent? Daf̈r wird dann die Note gesetzt. Die Prozessebene
Reflexion macht und dort, wo es n̈tig ist, Entwicklungsmass- ist einfacher zu erfassen als die Ergebnis-Ebene, weil die Zu-
nahmen einleitet. Diese Dynamik, welche die Qualiẗtsverant- kunftsperspektive dort nicht reinspielt. Naẗrlich geḧrt zur
wortung bei der Schule sieht, ist mir sehr wichtig; gelingt es, Produkteebene auch die Sozial- und Selbstkompetenz. Aller-
sie zu institutionalisieren, wird sich mittel- und langfristig jede dings ist der Anteil, den da die Schule leistet, ausserordentlich
Schule zu einer guten Schule entwickeln.
schwierig zu identifizieren. Der Unterrichtsstoff, das kurzfristig
im Ged̈chtnis Abgelegte, ist demgegen̈ber tats̈chlich leich-
In Scḧlerbefragungen wird doch vor allem das Wohlf̈hl- ter abzuchecken.
Kriterium ins Feld gef̈hrt. Eine wichtige Bemerkung,
greift sie doch ein aktuelles politisches Thema auf: Darf Helfen Kompetenzraster?
eine Wohlf̈hl-Schule das eigentliche Ziel der Qualiẗts- Ich ẅrde mir dies sehr erhoffen. Eine wichtige Aufgabe der
verbesserung sein?
kompetenzorientierten Modelle ist es, Aussagen zu machen, wie
F̈r mich ist das Wohlbefinden eine Grundvoraussetzung, damit denn diese Kompetenzen nun ̈berpr̈ft werden, so dass man
Lernen ̈berhaupt stattfinden kann. Ich zweifle daran, dass Kin- nicht den alten Pr̈fungsmechanismen verf̈llt, sondern zu einer
der nachhaltig lernen, wenn sie sich in der Schule nicht wohl neuen Pr̈fungspaxis gelangt.
f̈hlen. Deshalb mache ich das Wohlf̈hlen zwar nicht zum obers-
ten Kriterium der guten Schule, jedoch zur der Gelingensbedin- Um den Ist-Zustand einer Schuleinheit im Vergleich mit dem
gung. Ich kann nur zu weiteren Kriterien gelangen, wenn dieses ẅnschenswerten Soll-Zustand differenziert zu erfassen, sind
Grundkriterium erf̈llt ist. Die Frage ist naẗrlich, ob die Evalua- Instrumente und Vorgehensweisen mit hoher Akzeptanz notwen-
tion beim Wohlf̈hlen stehen bleiben darf. Dessen Stellenwert dig. Norbert Landwehr erl̈utert nun, wie wir zu den Entwicklungs-
ist evident. Jedoch sind zwei andere Aspekte ebenso wichtig:
impulsen gelangen.