Page 6 - Schulblatt Thurgau 06 2013
P. 6


6 F o k u s Schulblatt Thurgau 6 • Dezember 2013








naẗrlich auch den echten Dialog im Klassenzimmer. Bei der folgerichtig. Grunds̈tzlich steht hinter diesem Ansatz des schu- 
Auswahl und der Darbietung der Inhalte soll R̈cksicht auf An- lischen Religionsunterrichts die p̈dagogische Einsicht, dass 

geḧrige verschiedener religïser Glaubensgemeinschaften Kinder und Jugendliche in der Lage sind, anderen Einstellungen 
sowie auf Scḧlerinnen und Scḧler genommen werden, die und Haltungen offen und vorurteilsfrei zu begegnen. Nicht Ob- 
keiner Religionsgemeinschaft angeḧren. Zugleich aber wird jektiviẗt ist hier das Gebot der Stunde, sondern ein bewusster 

im Lehrplan festgehalten: «Das Gedankengut des Christen- und Umgang mit der eigenen Identiẗt als Grundlage f̈r den tole- 
Judentums hat die abendl̈ndische Kultur und Lebensweise ranten und wechselseitigen Dialog ̈ber Religion.

wesentlich mitgepr̈gt. Insbesondere beeinflusse es massge- 
blich Wertvorstellungen, Sitten und Normen unserer Kultur.» In dieser Form d̈rfte jedenfalls die thurgauische Variante des 
allgemeinbildenden schulischen Religionsunterrichts fraglos 
Von dort aus wird konstatiert, dass die «Kenntnis wesentlicher 
Inhalte der Bibel und deren Wirkungsgeschichte» zum Bil- zukunftsf̈higer sein als das Modell einer scharfen Neutraliẗt 
dungsgut geḧrt und dazu dient, «grosse Bereiche der Literatur, oder reinen Informationskunde. Ein solches Fach braucht auch 

Musik, bildenden Kunst und Architektur insbesondere Europas dementsprechend religionsp̈dagogisch und religionsdidak- 
besser zu verstehen.» Zugleich wird darauf hingewiesen, dass tisch geschulte Lehrerinnen und Lehrer. Ausserdem er̈ffnet 

«die zunehmend multikulturell und multireligïs zusammenge- diese Version schulischer Bildung vielf̈ltige Kooperations- 
setzte Gesellschaft und mit ihr auch die Scḧlerschaft» nahe- m̈glichkeiten mit ausserschulischen Bildungstr̈gern. Fragen 
legen, neben dem Christentum auch andere Weltreligionen zu der Wertevermittlung und des Zusammenlebens lassen sich 

ber̈cksichtigen.
ja tats̈chlich am besten in Kooperation sinnvoll konzipieren. 
Neben den Eltern wirken Vereine, Nachbarschaft, Kirchen, 

Die Scḧlerinnen und Scḧler sollen also ausgeẅhlte Inhalte kulturelle Einrichtungen und politische Institutionen an einer 
des Christentums sowie anderer Religionen verstehen und zu- ganzheitlichen Bildungs- oder Erziehungslandschaft mit. Hier 

gleich bef̈higt werden, zwischen den Inhalten der Bibel bzw. liefern die Kirchen durch ihre Beratungsstellen und ihre Ausbil- 
Quellentexten anderer Religionen und ihrer Lebenssituation dungsangebote f̈r Lehrpersonen, und schliesslich durch ihren 
Bez̈ge herzustellen. Das Fach soll also dazu dienen, Menschen konfessinellen Religionsunterricht unverzichtbare Orientierung. 

mit anderem religïsen Hintergrund besser zu verstehen, um Sie leisten zudem oftmals entscheidende seelsorgerische Ar- 
dadurch m̈glichst tolerant mit Menschen anderer Glaubensge- beit, weil sie bestens ̈ber die lokale Situation von Kindern und 

sinnungen und Weltanschauungen zusammenzuleben. Dahinter Jugendlichen vor Ort Bescheid wissen. Wenn die afrikanische 
steht die Annahme: Wenn die Scḧlerinnen und Scḧler im Re- Weisheit gilt, dass es «immer ein ganzes Dorf ist, das das Kind 

ligionsunterricht mit realen Problemen des Lebens und damit erzieht», dann kann man sich daran auch f̈r die lokalen Ent- 
auch mit der Vielfalt religïser Kultur konfrontiert werden und wicklungsaufgaben religïser Bildung im Thurgau gut orientie- 
sich damit auseinandersetzen, werden sie in ihrer Identiẗtsfin- ren. Hier gilt es, Kindern und Jugendlichen breite Chancen zu 

dung gef̈rdert. Dass hier nach wie vor ein Schwerpunkt auf der er̈ffnen, sich substantiell sowohl am Ort der Schule als auch im 
Kultur und den Traditionen des Christentums liegt, erscheint fol- kirchlichen Kontext mit ihren eigenen religïsen Fragen und Er- 

gerichtig. Immerhin ist der Boden des Zusammenlebens – man fahrungen auseinanderzusetzen. F̈r die Diskussionen im Rah- 
denke nur an den Bereich der Werte und Ethik – von diesen men des Lehrplan 21 sollte jedenfalls das spezifische Modell 

̈berlieferungen gepr̈gt. Dass daneben auch kulturelle Ein- des Thurgaus als besonders zukunftsf̈hige Version des schu- 
fl̈sse von Judentum und Islam thematisiert werden, ist ebenso
lischen Religionsunterrichts genauesten im Blick haben.

















PORTR̈T


Prof. Dr. Thomas Schlag, Jg. 1965, 
Theologe und Politikwissenschaftler; seit 

2005 Prof. f̈r Praktische Theologie/ 

Religionsp̈dagogik an der Theologi- 
schen Fakulẗt der Universiẗt Z̈rich; 

Leiter des Z̈rcher Zentrums f̈r Kirchen- urer
entwicklung (ZKE)
Ma
n 
efa
 St
ild:
B

   4   5   6   7   8