Page 40 - Schulblatt Thurgau August 2015
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40 RUND UM DIE SCHULE Schulblatt Thurgau 4 • August 2015
«Wo Wörter und
Urteile dem Überlegen
und Anschauen voreilen, da ist denn Überlegen
und unbefangen Anschauen doppelt schwer.»
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Anschauung als philosophischer Akt
Anschauen ist nicht Gucken, Glotzen, Starren, Lugen, Beobachten oder dergleichen. Anschauen betrifft in philosophischer Hinsicht die Erkenntnisfähigkeit des menschlichen Geistes schlechthin.
die Anschauung das absolute Fundament aller Erkenntnis» ist.12 Übernommenes und Lirilariwissen beschädigt die Erkenntnis: «Wo Wörter und Urteile dem Überlegen und Anschauen voreilen, da ist denn Überlegen und unbefangen Anschauen doppelt schwer.»13 Anschauungsunterricht ist also kein methodischer Kniff, um die Kinder motivational bei Laune zu halten, sondern ein philoso- phisch-pädagogisches Prinzip.
Anschauung in der Schule – Anschauungsunterricht
Im Lexikon der Pädagogik der Gegenwart (1930)14 wird An- schauung und deren Konkretisierung in Unterricht, in Mittel und Didaktik differenziert. Sie kann visuell, akustisch und kinäs- thetisch erfolgen. Solche Formen beziehen sich einerseits auf die räumliche Anordnung, Gestalt, Lage, Ausdehnung, Masse und andererseits auf zeitliche Anordnungen wie Dauer, Rei- henfolge und Rhythmus. Dahingehender Unterricht knüpft an die Tradition der Anschauung. Die Mittel und Objekte sollten unmittelbar in der Realität verfügbar sein. Lassen sich keine be- schaffen, können künstliche Gegenstände wie Präparate von Pflanzen und Tieren beigezogen werden. Schulwandbilder tun ein Übriges. Das didaktische Prinzip des Anschauungsunter- richts lautet: «Wo immer möglich, ist die Selbstbearbeitung der Bildungswerte durch die Schüler aus der Anschauung heraus und zwar mit möglichster Erlebnistiefe, anzustreben.»15 Das Anlegen eines Schulgartens, bei gleichzeitiger vertiefender denkender Durchdringung dieses Gegenstandes, ergebe eine nachhaltigere Bildung als eine Darbietung durch den Lehrer. Der Anschauung im Unterricht folgt das reproduktive Nach- gestalten in Wort, Schrift, Zeichnen, Malen, Formen, Basteln und Dramatisieren. Dasselbe gelte überdies für die sittlich- soziale Erziehung, bei denen ein lebensnaher praktischer Unter- richt der Willenserziehung diene.16
Bilder: Schulmuseum Mühlebach
Sie kann äusserlich und innerlich erfolgen. Letzteres kennen wir als Kontemplation. Beim Anschauungsunterricht befasst man sich mit Gegenständen ausserhalb des Subjekts. Anschauung ist so- wohl Tätigkeit als auch Ergebnis. Das führt zur Aufhebung der Subjekt-Objekt-Spaltung.10 So entsteht eine Übereinstimmung (Korrespondenz) des Angeschauten und dem Geist des Anschau- enden. Folgt man Aristoteles, so sind die durch die Anschauung hervorgerufenen Vorstellungen Abbildungen der Dinge. Thomas von Aquin (1225 bis 1274) ist ein Vertreter dieser Korrespondenz- theorie: «Veritas est adaequatio intellectus et rei» – «Wahrheit ist die Übereinstimmung von Verstand und Gegenstand.»11 Der Anschauungsunterricht ist somit der menschlichen Erkenntnisfä- higkeit geschuldet. Brühlmeier schreibt zu Pestalozzi: «Dabei bil- dete sich in ihm [Pestalozzi] die unumstössliche Gewissheit, dass
Beliebt: Schreiben mit der Stahlfeder.


































































































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