Page 43 - Schulblatt Thurgau August 2015
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KUNSTMUSEUM
Bild: © Kunstmuseum Thurgau
Tanzen als Form der Kunstvermittlung
Wichtige Aufgabe der Kunstvermittlung ist, Hemmschwellen ab- zubauen. Bei der Begegnung und Wahrnehmung von Kunst geht es weniger darum, sich ein konventionelles Kunstverständnis oder eine kunstwissenschaftliche Sprache anzueignen, sondern vielmehr, einen persönlichen Zugang zur Kunst zu erschliessen. Künstlerische Arbeiten – seien es Bilder, Skulpturen oder Instal- lationen – bilden den Ausgangspunkt für eigene Erkenntnisse und Erfahrungen. Das Tanzen kann ebenso wie Malen, Werken oder Geschichten erfinden dazu dienen, solche Erkenntnisse hervorzubringen. Als Ausdrucksmittel dient der eigene Körper. Wie die Tänzerin, Choreographin und Tanzpädagogin Mary Wig- man (1886 bis1973) schon geschrieben hat, ist der Tanz eine «ureingeborene» Sprache, die «Sprache des bewegten Körpers». Durch den Tanz können Inhalte und Gefühle ausgedrückt und dargestellt werden.
Ein Nachmittag im Kunstmuseum mit Bewegungs- pädagogin Bea Frei und Kunstvermittlerin Nicole Oswald-Strässle: einige Beispiele
Kunstvermittlung durch Tanz fördert verschiedene Kompetenzen. Einige Kunstwerke laden dazu ein, Bewegungen genau zu beo- bachten und nachzuahmen: Würde man zum Beispiel einen treppensteigenden Mann, wie es Adolf Dietrichs Bild «Vater auf der Treppe» (1918) darstellt, zunächst mit den Beinen stampfend darstellen, wird bei genauerem Betrachten des Bildes schnell klar, dass der alte Mann sich auf dem Geländer abstützt und sich eher langsam, gemächlich und mühsam die Treppe hoch- arbeitet. Anders die «Blechwand für Ittingen» von Christoph Rü- timann (2008), ein Kunstwerk, das selber voller Bewegung ist. Die Bewegungen der vibrierenden und tönenden Blechtafeln lassen sich nachahmen und fordern zugleich, sich auf die eigene Wahrnehmung von Bewegung und Geräuschen zu konzentrieren. Andere Kunstwerke wiederum regen die persönliche Fantasie an, lassen viel Interpretationsspielraum für individuell gefärbte Kurzszenen und Geräusche. So etwa Roland Dostals «Tropfen» (1997), der genauso gut ein Eiszapfen oder ein Halszäpfchen, ein Milchtropf oder ein zäher Leimklumpen sein könnte. Und was hat es schliesslich mit Paul Ritters «Altem Hasen» (2001) auf sich, der schick ausgestattet mit Uhr und Regenschirm unterwegs ist? Einige Kinder kennen vielleicht die Geschichte von Alice im Wun- derland; wenn nicht, kurbelt der alte Hase gewiss die Fantasie für eine neue Hasengeschichte an. Bei dieser Gelegenheit las- sen sich Bewegungsabläufe erkunden, wie ein Hase oder auch andere Tiere hüpfen.
Erlebnis- und lehrreich zugleich
Im Workshop «Kunst tanzen» wird Bewegung als Mittel einer Kunstbetrachtung eingesetzt, die durch das Erfahren über den Körper funktioniert. Auf der einen Seite dienen die Kunstwerke als Anregung und Ausgangspunkt für Kompetenzen wie Beo- bachten, Nachahmen, Schauen und Fantasieren. Die Bewegung fördert andererseits jedoch auch ein grösseres Kunstverständ- nis. So schärft zum Beispiel das genaue Nachahmen des Trep- pensteigens in «Vater auf der Treppe» den Blick auf das Bild. Durch die kurzen Inputs der Kunstvermittlerin lernen die Kinder auch etwas über Stilrichtung, Technik oder den Künstler der be- trachteten Kunstwerke – Informationen, die bei weiteren Be- trachtungen abgerufen werden können.
Kunst tanzen – eine sinnliche Begegnung
Tanzen im Museum? Tönt ungewöhnlich und doch gibt es Kunstwerke, die zur Bewegung mit dem eige- nen Körper einladen. Anstatt Pinsel und Farbe kön- nen Arme und Beine, Bauch und Rücken, Füsse und Finger oder auch die Stimme ausdrücken, was die Augen sehen.
Christiane Jeckelmann, Volontärin im Kunstmuseum Thurgau
Ab dem neuen Schuljahr 2015/16 bietet das Kunstmu- seum Thurgau den Kinderworkshop «Kunst tanzen», der bereits mehrmals im Rahmen des «Museum für Kinder»- Programms erfolgreich durchgeführt wurde, als Ange- bot für Schulklassen an. Kleine und grössere Kinder erfahren dort, wie sie mit ihrem Körper und ihrer Stimme auf Kunstwerke reagieren, ja über Sinneseindrücke Kunst fühl- und erfahrbar machen können: «Was sehe ich?», «Wie fühlt sich das an?» oder «Wie kann ich mit meinem eigenen Körper, meiner Mimik und der eigenen Stimme ausdrücken, was ich sehe?»
Schulblatt Thurgau 4 • August 2015 K U LT U R 43
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