Page 61 - Schulblatt Thurgau 03 2014
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Schulblatt Thurgau 3 • Juni 2014 GETROFFEN 57








Sie schauen wie Chorknaben drein, die noch nie Matheauf- aufgaben besser und schneller. Auch dem anwesenden Lehrer 
gaben hingeschludert und immer jede Aufsatzverbesserung bringt die Lernwerkstatt etwas: Er sieht, ob er uns die Sache gut 

sauber und sofort erledigt haben, die noch nie damit spekuliert erkl̈rt hat.» Gent: «Dort ist es ruhiger als zu Hause. Da ich weniger 
haben, dass ihr Lehrer nicht merkt, dass ein Teil des Vortrags abgelenkt werde, komme ich viel schneller vorẅrts.» Zu Hause 
mit Copy&Paste aus dem Internet abgekupfert worden ist. sei die Konzentration schwierig, gestehen sie: Geschwister, die 

Hausaufgaben, das m̈sse halt sein, sagen Ilir Kadriu, 15, und einen ̈rgern; die Lieblingsmusik, die einen so scḧn tagtr̈umen 
Gent Zyba, 14, und schauen mich treuherzig ̈ber den Tisch an. l̈sst; in der K̈che der Eisschrank f̈r den akuten Hungerast, der 

Langsam tauen sie auf und zeigen sich so, wie Scḧler eben einen just dann bef̈llt, wenn man sich endlich an den ewig auf- 
sind: mal pflichtbewusst, mal faul, mal angepasst, mal schlau geschobenen Vortrag machen sollte; das Smartphone mit seinem 
berechnend. Ilir, dessen Vorname «frei-sein» bedeutet, antwortet 
WhatsApp und das Tablet mit Facebook, wenn man, statt selbst 
als Erster, was er von Hausaufgaben ḧlt: «Manchmal empfinde nachzudenken, bei einem Kollegen nachfragen will.
ich sie wie eine Schikane. Dann n̈mlich, wenn ich eigentlich 

schon alles verstanden habe und gar nichts mehr ̈ben m̈sste.» Dass wissenschaftliche Studien belegt haben, dass Hausauf- 
Gent gibt ihm recht: «Es gibt Hausaufgaben, die mir sinnlos er- gaben keinen positiven Effekt auf die schulischen Leistungen 

scheinen. Wenn ich zum Beispiel etwas abschreiben muss, finde haben und bloss ein p̈dagogisches Ritual sind, ḧren die bei- 
ich das nervig. Die aufgabenlosen Nachmittage sind halt schon den zum ersten Mal. F̈nden sie es nicht toll, wenn im Thur- 
die scḧnsten.» Hausaufgaben seien doch etwas f̈r jene, die gau die Hausaufgaben abgeschafft ẅrden, wie es im Kanton 

etwas nicht begriffen ḧtten, finden sie. Meine Gegenfragen: Schwyz einmal versucht worden ist? Sie zucken mit der Schulter, 
Es ẅre doch nicht gerecht, wenn nur die weniger Begabten und Gent sagt stellvertretend auch f̈r Ilir: «Nein, so schlimm sind 

Hausaufgaben machen m̈ssten? Das haben sich die beiden Hausaufgaben auch wieder nicht.»
noch nie ̈berlegt. Ilir bleibt dabei: «Das mit der Gerechtigkeit 

sehe ich nicht. Aufgaben m̈ssen sinnvoll sein, sonst soll man Ilir und Gent haben unterschiedliche Strategien, ob sie zuerst die 
sie weglassen.»
einfachsten oder schwierigsten Aufgaben erledigen. Der eine 
spart sich das Angenehme zum Dessert auf; der andere macht 

Es ẅre schon etwas gewonnen, finden sie, wenn es weniger es gerade umgekehrt. Einig sind sie sich, dass man es einem Vor- 
Aufgaben ẅren, «etwa f̈r eine halbe oder maximal eine Stunde trag anmerkt, der auf den letzten Dr̈cker zusammengeschus- 

am Tag». Schlitzohrig hat die Klasse l̈ngst herausgefunden, bei tert wurde. Gent druckst herum und gesteht, dass in solchen 
welcher Lehrperson sie auf Granit beissen, wenn sie ̈ber die F̈llen bloss noch das Internet helfe. «Copy&Paste; der Lehrer 

Menge der Hausaufgabe maulen, und wen sie mit Gejammer hats aber sofort gemerkt», er grinst. «Ich mache die Hausaufga- 
umstimmen k̈nnen. Etwas z̈gerlich finden die beiden schliess- ben jedoch nicht, weil ich vor ihm etwa Angst habe.» Ilir nickt: 
lich doch Gr̈nde, die f̈r Hausaufgaben sprechen: das Wieder- «Der Lehrer muss kontrollieren, sonst ẅrden Aufgaben keinen 

holen und Vertiefen des Stoffes. Stolz erz̈hlt Ilir, dass er f̈r ein Sinn machen; und ich k̈nnte sie mir ersparen.» Er denkt kurz 
Mathe-Problem zu Hause einen weiteren L̈sungsweg heraus- nach, kehrt argumentativ den Spiess um: «Ich will ja wissen, ob 

gefunden habe, ganz eigensẗndig. Dann stimmt also, was wis- ich die Aufgabe richtig gel̈st habe, und die Lehrperson muss 
senschaftliche Untersuchungen festhalten, dass Hausaufgaben auch wissen, wo ich noch L̈cken habe. Manchmal bringen halt 

zu selbstsẗndigem Arbeiten anregen? «Eigentlich schon», sagt Hausaufgaben doch etwas.» Die beiden Eschenzer Sekundar- 
der eine. «Das ist so», meint der andere.
scḧler sind, was die Hausaufgaben betrifft, keine Chorknaben. 
Wie Generationen vor ihnen, sorgen sie fantasievoll daf̈r, dass 

Seine Hausaufgaben macht Gent am Esstisch. Wenn er nicht ihre Rechnung zusammengesetzt aus Schul-, Aufgaben- und 
weiter weiss, kann er f̈r Mathe, Geschichte und Geografie Hilfe Freizeit aufgeht.

bei Vater oder Mutter holen. Ilir dagegen ist froh um sein eigenes 
Zimmer. Da seine Schwester schon bei denselben Lehrpersonen 

zur Schule gegangen ist, kann er bei ihr Untersẗtzung holen. 
Am liebsten aber gehen Ilir und Gent am Mittwochnachmittag in 
die Lernwerkstatt, wo Lehrpersonen anwesend sind. «Freiwillig – 

im Fall!», wie sie betonen, «nicht, weil wir aus disziplinarischen 
Gr̈nden hingeschickt wurden.» Ilir: «Ich mache dort meine Haus-





&
«CopyPaste –

der Lehrer hats sofort 

gemerkt!» 
(Gent)

Alessio, 5. Klasse








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