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HISTORISCHES MUSEUM
Zweiter Weltkrieg
Ganz schweizerisch profitierte er auch vom Zweiten Weltkrieg.
Obwohl Tanganjika ausserhalb des Konfliktschauplatzes lag, war
Sonderausstellung K̈nzlers Unternehmen wirtschaftlich positiv betroffen: K̈nzler
lieferte im Krieg Nahrungsmittel an die britische Armee und
konnte nach 1945 in den Grosswildhandel einsteigen, nicht zu-
̈ber August K̈nzler
letzt, weil auch viele Zootiere Opfer der Kriegswirren geworden
waren. Wie die Schweiz schlug er also langfristig von der globa-
len Kriegskatastrophe einen Gewinn heraus.
August K̈nzler: Thurgau – Tanzania – die Geschichte So avancierte der arme Thurgauer G̈rtner zum typischen Patron
alter Schule. Man nannte K̈nzler Weizenk̈nig, sprach vom
eines global agierenden Thurgauers. Die Ausstellung
Onkel August und die sogenannten Waarusha-Farmer ẅhl-
im Alten Zeughaus thematisiert mit August K̈nzler ten ihn symbolisch zum Gemeindevorsteher. So lebte K̈nzler
(1901 bis 1983) einen kontrovers handelnden Thur- nach dem Krieg ein koloniales Leben: Veranstaltete Bankette
auf seiner Farm, empfing Prominente und Kuoni-Touristen und
gauer im Spannungsfeld der afrikanischen (De-)Kolo- pr̈sentierte sich und seine Frau in heimischer Idylle mit exo-
nisation. Seine schillernde Lebensgeschichte zwischen
tischem Anstrich.
Migration, Exotismus und Tierhandel bietet zahl-
reiche Ankn̈pfungspunkte f̈r Scḧler/-innen und Dekolonisation
In K̈nzler widerspiegelt sich also eine Epoche. Unsere westliche
Lehrpersonen.
Wohlstandsgesellschaft basiert bis heute auf den Ressourcen
der L̈nder des S̈dens, nach dem Krieg war von Dritte Welt die
Rede. Provokative Thesen fassen schliesslich auch die damalige
Dr. Dominik Schnetzer, stv. Direktor Historisches Museum Thurgau
Entwicklungshilfe als eine Art Ablass auf, mit dem der eigene
Wohlstand eine moralische Legitimation erfahren konnte. Auch
V
K̈nzler gleiste Entwicklungsprojekte auf, verfolgte diese noch
ielleicht haben wir sie auch zu Hause. Geschnitzte nach seiner R̈ckkehr in die Schweiz. Doch Afrika wollte etwas
Skulpturen, bedrohliche Masken oder ein exotisches anderes. Immer lauter wurde der Ruf nach Unabḧngigkeit,
Schmucksẗck. Der Afrikaemigrant August K̈nzler nach Befreiung von den Kolonialherren. Kurz nach dem «Afri-
sammelte solche Gegensẗnde, ein Museum hatte ihn 1950 kanischen Jahr», als 17 Staaten die Freiheit vom Kolonialismus
sogar darum gebeten. K̈nzler dokumentierte zudem Kultur und erhielten, erfasste die Bewegung auch Tanganjika. Unter Julius
Leben seiner Wahlheimat Tanzania fotografisch.
Nyereres Sozialismus wurde Tanzania unabḧngig. Es folgten
Verstaatlichungen und Umsiedelungen; kein guter Boden f̈r
Kolonialismus
K̈nzlers Unternehmen. Er zog sich zur̈ck, reiste 1979 nach
In solchen Objekten, in den einpr̈gsamen Bildern, kristallisie- Hause, starb 1983 in Frauenfeld.
ren Exotismus, Ethnographie, private Sammlungslust, m̈glicher-
weise auch ein bisschen Schweizer Kolonialhabitus. Das Kontro-
verse an August K̈nzler, dem Protagonisten der Sonderausstel-
«So avancierte der
lung im Historischen Museum Thurgau, ist auch das Spannende
arme Thurgauer G̈rtner f̈r den Unterricht. Es war schliesslich eine Zeit, in der man
noch auf die Afrikaner hinunter schaute. Rassentheoretiker
zum typischen Patron
massen K̈pfe aus, deklarierten die Minderwertigkeit gewisser
alter Schule.»
Menschen gegen̈ber anderen. In Zoos, etwa in Basel, wurden
neben Tieren exotische V̈lker ausgestellt, als K̈nzler 1929 mit
Sack und Pack nach Tanzania emigrierte. Doch K̈nzler l̈sst
sich nicht als rassisch motivierter Kolonialist abstempeln.
Wirtschaftskrise
Kulturelles Ged̈chtnis
Arm aufgewachsen tr̈umte K̈nzler einst vom Lehrerberuf. Armut Doch der Nachwelt wollte er gut in Erinnerung bleiben. Onkel Au-
in der Schweiz war weit verbreitet, besonders auch im Thurgau. gust erz̈hlte stolz von seinen Abenteuern, ein Journalist durfte
So musste K̈nzler etwas Praktisches lernen. Er wurde G̈rtner im Auftrag eine Biografie ̈ber den Weizenk̈nig verfassen. Es
und entdeckte sein Talent als Unternehmer, er̈ffnete im Tessin ist diese Generation der Pioniere, der Wohlstandsgeneration,
eine G̈rtnerei und wagte voller Tatendrang den Schritt auf einen der Patrons, der Kriegsgewinnler und patriarchalisch tickenden
relativ unerschlossenen Kontinent. Ẅhrend in den 1930ern Unternehmer, die so in unser kulturelles Ged̈chtnis eintreten
weltweit die Wirtschaftskrise grassierte, baute der Kesswiler in will. Als erfolgreiche Macher, als (Mit-) Gestalter der Welt.
der britischen Kolonie Tanganjika ein kleines Imperium auf. Ganz August K̈nzlers Welt war «Thurgau – Tanzania». Mit dieser Chif-
schweizerisch gr̈ndete er eine Genossenschaft, experimentierte fre reflektiert die Ausstellung die Schl̈sselepoche des kurzen
innovativ mit nicht-lokalem Saatgut und investierte.
20. Jahrhunderts.

